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Deutsche Konjunktur trotzt schwächelndem Umfeld

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 09/2016

Auch sieben Jahre nach dem Ende der Finanzkrise fehlt der Weltwirtschaft noch der Schwung. Niedrige Zinsen, ein reichliches Geldangebot und auch niedrige Rohstoffpreise vermochten dies bisher nicht nachhaltig zu ändern. Doch nunmehr keimt Hoffnung auf: Nach jüngeren Umfragen zu den wichtigsten Frühindikatoren fasst die Industrie weltweit langsam Tritt. Ein Konjunkturbericht von Dieter W. Heumann.

Bessere Umfrageergebnisse kommen aus Asien, wo der Einkaufsmanagerindex besonders in China zulegen konnte. Experten sehen eine Wachstumsbeschleunigung im zweiten Halbjahr. Auch in anderen wichtigen Schwellenländern wie Südafrika oder Indien scheint das Schlimmste überstanden zu sein. Südkorea und Taiwan haben mittlerweile die kritische Schwelle von 50 Indexpunkten überwunden, die Ausdruck für eine wachsende Industrieproduktion ist.  In Japan und Russland liegen die Frühindikatoren knapp unter diesem Wert. Und die brasilianische Wirtschaft verringert ihre Fallgeschwindigkeit spürbar. Nach wie vor liefern die USA und die EU  die besten Ergebnisse. Mit 52,6 bzw. 52 Indexpunkten befinden sie sich in der Wachstumszone.

Der Brexit hat sich auf die Wirtschaft der EU insgesamt - wider Erwarten - bisher kaum negativ ausgewirkt. Aber der jüngste Absturz der wirtschaftlichen Indikatoren in Großbritannien und in dem wirtschaftlich eng mit den Briten verbundenen Euromitglied Irland dürfte mittel- und langfristig nicht unbedingt für eine Entwarnung sprechen: Nach Umfragen  des ifo World Economic Survey - im Juli - erwarten die Experten mittelfristig bremsende Wirkungen für alle EU-Länder. Von einer Rezession in Großbritannien wird derzeit aber nicht ausgegangen, zumal die Bank of England (BoE) bereits beherzt eingegriffen hat.

Die Sanktionen Russlands - als Reaktion auf den wirtschaftlichen Boykott der EU - treffen hierzulande zwar einzelne Branchen empfindlich;  gemessen an den gesamten deutschen Exporten stellt sich der russische Anteil jedoch als relativ gering dar. Er sank von gut 3 Prozent in 2014 auf mittlerweile unter 2 Prozent. Etwa gleichgewichtig sind die Exporte in die Türkei. Allerdings hatten diese in den letzten Jahren kontinuierlich zugelegt.

Trotz des Störfeuers aus Teilen der Welt zeigt sich die sehr exportintensiv aufgestellte deutsche Wirtschaft insgesamt zur Jahresmitte 2016 recht resistent. Und sie verteidigt ihre Rolle als Konjunkturlokomotive in der Eurozone erfolgreich. „Die deutsche Wirtschaft weist eine kräftige konjunkturelle Grundtendenz auf“, so Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen Weidmann: Das Bruttoinlandsprodukt hat nach 0,7 Prozent Wachstum im I. Quartal im Folgequartal wider Erwarten um weitere 0,4 Prozent zugelegt. Selbst die deutschen Ausfuhren fanden - trotz weltwirtschaftlicher Abkühlung  und eines festeren Euros -  mit einem Plus von 1,4 Prozent auf den Wachstumskurs zurück, was vor allem den Ausfuhren in die  übrigen EU-Ländern zu verdanken war. Doch die Unsicherheit über die Folgen des Brexits des drittgrößten Handelspartners bleibt, zumal sich die Austrittsverhandlungen hinzuziehen drohen. Dies belaste die Wirtschaft sehr, warnt Anton Börner, Chef des Außenhandelsverbandes BGA, eindringlich,

Trotz guter Exporttätigkeit - die Binnenwirtschaft blieb wesentlicher Träger des gesamtwirtschaftlichen Wachstums in Deutschland: Vor allem der private Konsum legte weiterhin zu. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Verbraucher waren anhaltend günstig: Geringere Energiekosten und allgemein niedrige Teuerungsraten schonten den Geldbeutel der privaten Haushalte: Im Juli stieg die Inflationsrate leicht auf 0,4 Prozent an. Sie liegt damit deutlich unter den Lohn- und Gehaltssteigerungen, so dass die reale Kaufkraft für die Konsumenten gestiegen ist. In die gleiche Richtung wirkten die Renten, die zur Jahresmitte deutlich angehoben wurden. Sicherheit gibt den privaten Haushalten zudem die robuste Arbeitsmarktsituation: Zur Jahresmitte spiegelt die Arbeitslosenquote  mit 6 Prozent einen der niedrigsten Werte seit der Wiedervereinigung wider. Die Zahl der offenen Stellen ist um ca. 1 Million angestiegen. Einen Wehrmutstropfen bilden die Langzeitarbeitslosen: Ihre Zahl verharrt-  trotz guter Konjunktur - auf hohem Niveau. Mit den Flüchtlingen - überwiegend ohne Berufsabschluss und deutsche Sprachkenntnisse - droht sich dieses Problem noch zu verschärfen.

Auch niedrige Zinsen verfehlten ihre Wirkung auf die Verbraucher nicht. Laut Gesellschaft für Konsumforschung GfK, spart nur noch jeder zweite Deutsche regelmäßig. 2015 taten dies noch 65 Prozent.  Für hohe Aktivitäten sorgte der niedrige Zins vor allem im Wohnungsbau. Nach ifo-Präsident Clemens Fuest ist die Stimmung am Bau „blendend“. Der entsprechende Klima-Indikator klettere auf „immer neue Rekordwerte“. Mangels risikoarmer Anlagealternativen entscheiden sich nach wie vor viele Bundesbürger für die Verwirklichung ihres Traums vom Eigenheim. Betongold bleibt aber auch als Renditeobjekt gefragt. Sorgen bereiten kräftig steigende Baupreise – nicht nur in Ballungszentren und Großstädten sondern mittlerweile auch in verkehrsgünstig angeschlossenen ländlicheren Lagen. Nach Angaben von Fachleuten steigen die Baupreise seit 2010 deutlich schneller als Mieten, Verbraucherpreise und die Einkommen der privaten Haushalte. Im I. Halbjahr 2016 zogen die Immobilienpreise schon im Schnitt um 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Zudem wird erwartet, dass 2017 die langfristigen Zinsen und damit die Hypothekenzinsen wieder steigen. Gegen einen Bauboom mit Blasenbildung  spricht jedoch, dass sich die privaten Haushalte hierzulande - anders als in den USA - nicht übermäßig stark verschulden. Um dieser Gefahr dennoch entgegenzuwirken, werden die Kreditinstitute seit März d.J. mit der „Wohnimmobilienkreditrichtlinie“ konfrontiert - einem bürokratischen Monster, das die Verbraucher durch höhere Kreditvergabehürden besser schützen soll. Eine Kreditklemme mit negativen Auswirkungen auf den Wohnungsbau und die wirtschaftlichen Aktivitäten allgemein ist nicht auszuschließen.

Leidiges Dauerthema bleibt die schwache Investitionstätigkeit, zumal sie bremsend auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum einwirkt. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Investitionsquote spürbar gesunken. Die Anlageinvestitionen der Unternehmen haben im II. Quartal laut Statistischem Bundesamt „deutlich nachgelassen“. Die  Investitionstätigkeit des Staates hat sich durch die Betreuung der Flüchtlingsströme insgesamt leicht erhöht.  Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verweist aber auf  den wachsenden Investitionsrückstand der Kommunen. Trotz bester Finanzierungsmöglichkeiten und obwohl 2015 im kommunalen Durchschnitt ein Finanzüberschuss erwirtschaftet wurde und der Bedarf an Sanierungen in allen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur gestiegen sei, bleibe die Investitionstätigkeit deutlich hinter den Erwartungen zurück, moniert die KfW. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), warnt: „Deutschland verliert an Leistungsfähigkeit“ und sieht die öffentliche Hand in der Pflicht. Aufträge des Staates würden auch der Investitionstätigkeit der Unternehmen Impulse geben.

Ein Lichtblick scheint es für die Investitionen des Bundes zu ergeben: Der neue Bundeswegeplan 2030 sieht für die nächsten 15 Jahre insgesamt rund 265 Mrd. Euro für die Infrastruktur vor. Laut Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ BANK ist das „so viel wie noch nie“. Werden sie wie geplant umgesetzt, dürften sie ausreichen, um die Investitionslücke des Staates zu stopfen. Allerdings sei damit das Infrastrukturproblem finanzschwacher Kommunen nicht gelöst. Hier sieht Bielmeier die Länder gefordert.

Als ernstes Problem stellt sich für die Wirtschaft seit geraumer Zeit die offensive Geldpolitik dar. Mit niedrigen Zinsen und einem enormen Geldangebot versucht die EZB der Politik Zeit zu verschaffen, um die Strukturprobleme hoch verschuldeter Euroländer in den Griff zu bekommen. Doch die Politik kooperiert nur unzureichend. Vielmehr verleiten niedrige Zinsen zu neuen Kreditaufnahmen: Allein Spanien und Portugal überschritten  jüngst die im Maastricht-Vertrag festgelegte maximale Neuverschuldung von jährlich 3 Prozent mit 5,1 bzw. 4,4 Prozent deutlich. Mögliche Strafen wurden - auf Empfehlung der EU-Kommission - nicht verhängt. Der Grund: Die EU-kritische-Stimmung in diesen Ländern sollte nicht zusätzlich angeheizt werden. Auch ist es der EZB bisher nicht gelungen, mit der expansiven Geldpolitik die Konjunktur im Euroland  nachhaltig zu beleben und ihr Inflationsziel von knapp unter 2 Prozent zu erreichen. Im II. Quartal ging das Wachstum des Euro-BIP auf 0,3 Prozent - nach 0,6 Prozent im Vorquartal zurück - nicht zuletzt, weil Frankreich in die Stagnation zurückfiel und Italien in der Stagnation verharrte.

Andererseits droht die ultraleichte Geldpolitik mit zunehmender Dauer Stützen der Eurokonjunktur, wie die Bundesrepublik, wirtschaftlich zu destabilisieren: Unter den niedrigen Zinsen leiden hierzulande nicht nur die Sparer; auch Banken und Sparkassen  geraten in zunehmende Schwierigkeiten - vor allem im Kreditgeschäft, wo eine ausreichende Bepreisung des Risikos immer schwieriger wird. Gleichzeitig sind die Institute gezwungen, höheren Eigenkapitalanforderungen zu entsprechen. Dessen nicht genug, wird das Kreditgewerbe mit einer Flut von Regulierungen überzogen, die es in eine Funktionsstarre zu versetzen droht. Für den  raschen Wiederaufbau  der Bundesrepublik war seinerzeit die schnelle Schaffung eines stabilen Bankensystems die Voraussetzung. Das gilt auch mit Blick auf Europa.

Das Ende der Nullzinspolitik ist nicht absehbar – auch weil ein Umschwenken  auf einen restriktiven geldpolitischen Kurs kaum „auf Knopfdruck“ gelingen wird. Den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg zu finden, kann sehr lange dauern, wenn die konjunkturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dagegen stehen. Die USA liefern dafür gegenwärtig das beste Beispiel.

Auch in der zweiten Jahreshälfte 2016 ist nicht mit einer Umkehr der Geldpolitik zu rechnen. Im Gegenteil, der aktuellen geldpolitischen Logik entsprechend sind nach dem Brexit weitere geldpolitische Lockerungen möglich. Die Investitionstätigkeit dürfte dies aber kaum beflügeln, sie dürfte durch die Unsicherheit, die der Brexit verbreitet, eher noch zurückhaltender reagieren. Die Exporte dürften im weiteren Jahresverlauf von einer möglichen weltwirtschaftlichen Belebung stärker profitieren. Der private Konsum sollte - trotz anziehender Energiepreise, aber ansonsten wenig veränderter Rahmenbedingungen – zunächst stabil bleiben. Gleiches gilt für die kurzfristige Betrachtung am Bau, wo mittelfristig allerdings die öffentlichen Aktivitäten mehr Gewicht bekommen könnten. Die Produktionstätigkeit dürfte eher zunehmen – vor allem in den konsumnahen Bereichen. Ferdinand Fichtner, Konjunkturchef des DIW rechnet für das dritte Quartal insgesamt mit einem anhaltend moderaten Wirtschaftswachstum.