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Der konjunkturelle Aufschwung in Deutschland zeigt sich erstaunlich robust

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 06/2017

Trotz zahlreicher politischer und wirtschaftlicher Krisenherde weltweit befindet sich die deutsche Wirtschaft bereits im fünften Jahr in einem - wenn auch moderaten – konjunkturellen Aufschwung. Ein Konjunkturbericht zur Jahresmitte von Dieter W. Heumann.

 © K.-U. Häßler - Fotolia

Aufgrund der anhaltend guten binnenwirtschaftlichen Entwicklung sowie der wieder aufwärts strebenden Weltwirtschaft und der konjunkturellen Belebung im Euroraum ist die deutsche Wirtschaft dynamisch ins neue Jahr gestartet: Das Bruttoinlandsprodukt hat laut Statistischem Bundesamt (Destatis) im 1. Quartal 2017 um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zugelegt. Die deutsche Wirtschaft ist damit ihrer Rolle als Konjunkturlokomotive im Euroraum - neben Spanien (plus 0,8 Prozent) - wieder gerecht geworden.

Wurde der konjunkturelle Aufschwung in Deutschland bisher vor allem vom privaten aber auch vom staatlichen Konsum und den Aktivitäten am Bau getragen, wandelt sich nun das Konjunkturbild: Erstmals seit langem haben die Ausrüstungsinvestitionen deutlich an Kraft gewonnen, aber auch die Exporte. Sowohl die Industrie als auch die Exporte haben im Frühjahr erheblich zugelegt.

Die privaten Haushalte und der Staat erhöhten ihre Ausgaben im ersten Quartal gegenüber dem letzten Quartal 2016 allerdings nur noch leicht. Aufgrund der anhaltend günstigen Arbeitsmarktsituation und anziehender Löhne und Gehälter sowie der niedrigen Zinsen bleibt der private Konsum jedoch eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft. Die Zahl der Arbeitslosen ist bis Ende April auf 2,5 Mio. gesunken. Gleichzeitig melden die Unternehmen mit über einer Million einen neuen Rekord offener Stellen. Gesucht sind Fachkräfte. Mittlerweile ist der Fachkräftemangel ein ernstes Problem für die Wirtschaft. Unternehmen stoßen vermehrt an Kapazitätsgrenzen. Die Hoffnung, das Problem durch den Flüchtlingszustrom lösen zu können, wird sich - zumindest kurz- und mittelfristig - nicht erfüllen. Wie die Beschäftigungserwartungen signalisieren, werden die Perspektiven für den privaten Verbrauch „auf absehbare Zeit gut bleiben“, so  die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Allerdings gibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zu bedenken, dass die realen Arbeitseinkommen von der zunehmenden Teuerung gebremst werden.

Laut Destatis lag die Inflation in Deutschland im April bei 2 Prozent. Sie liegt damit über dem Ziel der EZB. Volkswirte verweisen auf die im April liegenden frühen Ostertage, womit die jüngste - unerwartet hohe -Inflationsrate als Ausreißer zu werten sei. Nach Michael Holstein von der DZ Bank ist allerdings in Deutschland nicht mehr mit einer Inflationsschwelle von unter 1,5 Prozent zu rechnen. EZB-Chef Mario Draghi sieht derzeit keine Inflationsgefahren. Er verweist auf die Kerninflation - ohne Energie - und Lebensmittelpreise. Sie sei noch nicht auf einem nachhaltigen Weg in Richtung des EZB-Ziels von knapp unter 2 Prozent.

Konjunkturstimulierend wirkt auch die erhöhte Konsumnachfrage des Staates wobei die Ausgaben zur Bewältigung des Flüchtlingsansturms eine erhebliche Rolle spielt. Zudem tritt die öffentliche Hand zunehmend als Investor im Bereich der Infrastruktur auf, da sich hier mittlerweile ein nicht mehr zu negierender Nachholbedarf aufgetürmt hat. Glücklicherweise sind die öffentlichen Kassen aufgrund der guten Konjunktur sowie hoher Beschäftigung und daraus resultierender sprudelnder Steuer- und Beitragseinnahmen gut gefüllt. Aber auch durch die Niedrigzinspolitik der EZB ist es für den Staat zu einer erheblichen Entlastung beim Schuldendienst gekommen. So ist es gelungen, im vierten Jahr in Folge einen Budgetüberschuss zu erzielen. Kein Wunder, dass der seit langem überhörte Ruf von Bürgern und Unternehmen nach dringend notwendigen Steuerreformen lauter wird.

Nach wie vor wirken sich die historisch niedrigen Zinsen auf den Wohnungsbau stark stimulierend aus. Kein Wunder, dass in Deutschland, das beim Wohneigentum in Europa auf einem der letzten Plätze rangiert, der Drang in die eigenen vier Wände groß ist. Lukrativ ist in Zeiten knappen Wohnraums und zum Teil kräftig steigender Mieten aber auch das Vermietungsgeschäft. Angesichts des beschleunigenden Preisanstiegs im Wohnungsbau weitet sich der Bauboom zunehmend über die Ballungszentren hinaus aus. Die Preise in den Städten - vor allem in den Großstädten - sind übertrieben und die Kreditvergabe nehme zu, so die Bundesbank. Verantwortlich für die Finanzaufsicht, sorgt sich Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret aber vor allem um deutlich erhöhte Zinsänderungsrisiken bei der Hälfte aller deutschen Kreditinstitute. Der Wirtschaftsbau dürfte sich nach der Stagnation im vergangenen Jahr 2017 wieder etwas beleben. Das Volumen genehmigter Bauvolumina hat im Frühjahr moderat zugenommen.

Bisher war die Lage der Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen wenig befriedigend. Das liegt unter anderem an der Dominanz der Konsumtätigkeit, wodurch die industrielle Fertigung weniger stark stimuliert wird, wie die fünf führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute hervorheben. Laut KfW erschweren außergewöhnliche politische Risiken die langfristigen Planungen der Betriebe. Ob der kräftige Anstieg im Bereich der Ausrüstungsinvestitionen im 1. Quartal eine Wende darstellt, bleibt abzuwarten.

Als Investitionsstandort wird Deutschland bei großen Konzernen hingegen international zunehmend geschätzt - so eine jüngere Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Danach rückte die Bundesrepublik im Ranking der Unternehmensberater auf Platz 2 vor China und Großbritannien. 2016 lag Deutschland noch auf dem 4 und im Jahr zuvor auf dem Platz 7. Entscheidend für die positive Bewertung: Das stete Wirtschaftswachstum und die Produktivität, eine stabile Politik mit firmenfreundlicher Regulierung sowie der Austritt der Briten aus der EU. Nach Ansicht der Autoren der Studie könnte Deutschland sogar einer der großen Gewinner des Brexits werden.

Stimuliert durch die robuste Weltkonjunktur, einen relativ schwache Eurokurs und die wirtschaftliche Belebung im Euroland zogen die Ausfuhren im Frühjahr erstmals seit 2015 wieder kräftig an. Sie kletterten im März mit 118,2 Mrd. Euro auf den höchsten monatlich gemessenen Wert seit 1950. Die ifo-Exporterwartungen der Industrie erreichten im März ihr höchstes Niveau seit drei Jahren. Kräftig angezogen haben auch die Importe – erreichten allerdings nicht die Steigerung der Ausfuhren, so dass sich der Überschuss in der Handelsbilanz weiter erhöhte, was die internationale Kritik am deutschen Handels- und Leistungsbilanzüberschuss nicht verstummen lassen wird.

Die großen deutschen Industriebranchen zeichneten auf der diesjährigen Hannover-Messe ein positives Bild. „Wir rechnen für 2017 mit einem Wachstum der realen Wirtschaftsleistung von 1,5 Prozent und 500.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen“, gab Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die Richtung vor. Die Elektroindustrie folgte dieser Prognose – mit dem Zusatz, es könnten in ihrer Branche auch etwas mehr werden. Mit guten Zahlen ist auch der Maschinenbau ins Jahr gestartet. Daran gemessen hört sich die Prognose von einem Prozent Wachstum für die Branche in 2017 eher bescheiden an. Die Maschinenbauer rechnen für dieses Jahr auch mit steigenden Ausfuhren nach Russland und Indien sowie mit einer Stabilisierung in China. Besonders gut geht es offenbar jenen Unternehmen, die frühzeitig in die Digitalisierung investiert haben. Laut BITKOM, dem Bundesverband Informationswissenschaft, Telekommunikation und Neue Medien, haben die deutsche Automobilindustrie einschließlich ihrer Zulieferer, der Maschinenbau und die Elektroindustrie das meiste Geld für Investitionen in Industrie 0.4 ausgegeben. Allgemein war in Hannover aber auch zu spüren, dass die Risiken an den Exportmärkten - vor allem USA, Italien und Türkei, trotz der gegenwärtig insgesamt guten Lage - stets präsent sind und den Optimismus in Grenzen halten.

Auch im Nordwesten der Bundesrepublik ist der wirtschaftliche Aufschwung angekommen. Nach der jüngsten Konjunkturumfrage der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer ist der Konjunkturklimaindex für das Oldenburger Land im 1. Quartal 2017 auf den höchsten Wert seit drei Jahren angestiegen. Dazu beigetragen hat in erheblichem Maße der Umschwung im Bereich der Industrie, die deutlich gestiegene Auftragseingänge verbuchten. Im Baugewerbe hält der Boom, getragen vom Wohnungsbau, an. Im Einzelhandel hat sich die Stimmung im Vergleich zum Vorjahr verbessert und jeder zweite Großhändler meldet gute Geschäfte. Die Branche klagt indes über einen erheblichen Fachkräftemangel. Gute Geschäfte tätigt nach Angaben der IHK die Dienstleistungsbranche – vor allem im Medienbereich und bei den IT-Unternehmen.

Ein eher schwaches 1. Quartal verzeichnet dagegen das Verkehrsgewerbe, das über enttäuschte Entwicklungen sowohl bei den Erträgen, als auch beim Umsatz- und Entwicklungsvolumen berichtet. Insgesamt rechnen die oldenburgischen Unternehmen im laufenden Jahr mit einer Fortsetzung des Aufschwungs, so Björn Schaeper von der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer. Die optimistische Prognose wird auch durch die Investitionsplanungen der Unternehmen gestützt. Sie sind erstmals seit zwei Jahren zwei Quartale hintereinander auf hohem Niveau.

Auch im oldenburgischen Handwerk hält die gute Stimmung an. „Die Konjunktur im Handwerk brummt schon lange und es ist nochmals ein Stück besser geworden“, so Handwerkspräsident Manfred Kurmann. Sowohl die Auftragsbestände als auch sie Umsätze haben sich günstig entwickelt. Der weit überwiegende Teil der Handwerksunternehmen plant die Investitionstätigkeit auszuweiten oder sie zumindest im Ausmaß des Vorjahres zu fahren. Erstmals seit fünf Jahren ergeben Umfragen zur Beschäftigungslage einen positiven Wert. In bester Stimmung hinsichtlich der geschäftlichen Situation zeigen sich das Bau - aber auch das Ausbauhandwerk. Auch im gewerblichen Bereich hat sich die Lage verbessert. Diskussion über Dieselfahrzeuge, blaue Plaketten und Fahrverbote in Innenstädten verunsichern allerdings das KfZ-Handwerk und beeinträchtigen auch bereits die Nachfrage.

Etwas zurückhaltender beurteilen Gesundheits-, Lebensmittel- und Dienstleistungshandwerke ihre geschäftliche Situation. Die Kammer nennt ansteigende Teuerungsraten aber auch zum Teil moderatere Lohnabschlüsse als Gründe.

Der gute Start der deutschen Wirtschaft in das neue Jahr hat die führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute dazu ermutigt, ihre Wachstumsprognose 2017 vorsichtig auf real 1,5 Prozent anzuheben. Da die Konjunkturforscher von der Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung überzeugt sind - ohne indes die weltweiten politischen und wirtschaftlichen Risiken auszublenden - sehen sie für 2018 in Deutschland ein reales BIP-Wachstum in Höhe von 1,8 Prozent.