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Geldpolitik zur Jahreswende

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 01/2018

Von Dieter W. Heumann.

Die Konjunktur hat sich im Euroraum spürbar gefestigt. Die EU-Kommission erwartet für das gerade zu Ende gegangene Jahr in der Eurozone ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von real 2,2 Prozent. Für 2018 geht man in Brüssel von einem Anstieg um gut zwei Prozent aus, und 2019 sollen weitere 1,9 Prozent  erreicht werden. Die Prognosen des Sachverständigenrats und der wirtschafts wissenschaftlichen Institute lauten ähnlich. Zeit also für die Europäische Zentralbank (EZB), ihre expansive Geldpolitik vorsichtig  zurückzufahren.

Und in der Tat: Ende Oktober gab die EZB bekannt, dass sie das Volumen ihrer Anleihekäufe (Quantitative Ea-sing, QE) von monatlich 60 auf 30 Milliarden Euro ab Januar 2018 reduzieren wird. Das wäre konjunkturgerecht und hätte zweifellos den Einstieg in den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik signalisiert – wenn EZB-Präsident Mario Draghi nicht Wasser in den Wein gegossen hätte, indem er zusätzlich eine zeitliche Fortsetzung des Ankaufprogramms bis mindestens September 2018 verkündet hat. Dass für die Laufzeit des Anleihekaufprogramms auch keine Leitzinserhöhung stattfinden wird, versteht sich. Mit der Verlängerung des Programms wird auch der Zins am langen Ende des Marktes niedrig gehalten, denn „Gefahren“ drohen aus den USA, wo noch bis zum Jahresende die dritte Leitzinserhöhung der US-Notenbank FED erwartet wird.

In der Eurozone ist indes die Geldpolitik heute offensiver als auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise. Kein Wunder, dass der Sachverständigenrat mit der EZB hart ins Gericht geht: „Die jüngste Verlängerung des Anleihekaufprogramms lässt den Expansionsgrad noch weiter zunehmen, obwohl die makroökonomische Entwicklung eine deutliche geldpolitische Straffung erfordert“, so die „Fünf Weisen“ in ihrem jüngsten Jahresgutachten zum Kurs der EZB.

Um ihre Entscheidung vor der Öffentlichkeit zu verteidigen, werden EZB-Chef Draghi und der größte Teil seiner Mitstreiter im EZB-Rat, der die Geldpolitik bestimmt, nicht müde, auf das Inflationsziel zu verweisen. Das hat die Notenbank auf „unter, aber nahe 2 Prozent“ festgesetzt. Nach Benoit Coeré, Direktoriumsmitglied der EZB, ist die Inflation“ immer noch schwach. „Wir haben Anzeichen, dass sie anzieht, doch die Preisentwicklung braucht nach wie vor die Unterstützung der Geldpolitik.“ Coeré weiter: „Es gibt eine sehr breite Übereinstimmung im Rat, dass die Geldpolitik weiterhin unterstützend bleiben muss, bis die Inflation nachhaltig das gewünschte Niveau erreicht hat.“ In der Tat tut sich die EZB schwer – trotz sich deutlich belebender Konjunktur – ihr Inflationsziel zu erreichen. Dabei ist die Deflationsgefahr – selbst nach den Worten Draghis – längst gebannt. Die Inflationsrate hat sich im Euroraum im Durchschnitt auch bereits bis auf 1,5 Prozent hochgehangelt. Auffällig ist aber, dass sich der Inflationsanstieg im Gegensatz zu früheren Aufschwüngen zögerlicher gestaltet.

Dennoch besteht die Gefahr, dass die EZB ihre Chance, rechtzeitig zu reagieren, verpasst. Wie die Prognosen verheißen, ist in der Eurozone mit einem länger anhaltenden Wachstum zu rechnen. Zudem scheint die Zeit sinkender Rohstoffpreise, die die Inflation in der Vergangenheit maßgeblich gedrückt haben, vorbei zu sein. Insbesondere im Bereich des Öls ziehen die Preise seit einigen Monaten kräftig an. Steigende Kosten ergeben sich aber auch angesichts zunehmend ausgelasteter Kapazitäten, was sich im Bereich der Löhne bereits an den jüngsten Gewerkschaftsforderungen hierzulande andeutet. Diese und andere Faktoren könnten dafür sorgen, dass die EZB ihr Inflationsziel möglicherweise schneller erreicht, als ihr lieb sein dürfte. Gewinnt die Inflation nämlich erst einmal an Fahrt, dann müsste die Geldpolitik umso heftiger gegensteuern und damit eine Kurskorrektur vollziehen, die die Märkte – insbesondere die boomenden Aktien- und Immobilienmärkte – zeitlich überraschen könnte.

Das Einzige, was die anhaltend expansive Geldpolitik der EZB heute rechtfertigt, ist die immer noch schwierige Schuldensituation in der Eurozone. Die Niedrigzinspolitik hat auch den Effekt, dass sie den hoch verschuldeten Ländern hilft, indem sie z. B. deren Zinslasten erträglicher gestaltet, ohne dass dies von der Notenbank ausdrücklich gewollt sein muss. Entschieden weisen die Notenbanker auch jeden V erdacht zurück, mit dem Ankauf von Staatsanleihen eine Refinanzierung der hoch verschuldeten Mitgliedsstaaten zu betreiben, denn dafür hat die EZB ausdrücklich kein Mandat.

Derzeit genießt die Eurozone die verbesserte wirtschaftliche Situation, zumal die gute Konjunktur derzeit die Schuldenberge zu verdecken scheint. Dennoch, der Tanz auf den Schuldenvulkanen dürfte kein Problem von gestern sein. Zwar haben kleinere Euroländer wie Estland, Litauen, Lettland, Malta oder die Slowakei, aber auch die Niederlande, das im Maastricht-Vertrag verankerte Gebot, wonach die Gesamtverschuldung der Euroländer 60 Prozent der Höhe des jeweiligen BIP nicht überschreiten darf, eingehalten. Finnland sowie Deutschland überschreiten die Obergrenze auch nach den jüngsten Zahlen des II. Quartals 2017 nur knapp. Aber von den 19 Euroländern haben zehn das Ziel mit einer Verschuldung von über 70 Prozent des BIP weit verfehlt – angeführt von Griechenland, schon bald gefolgt von Spanien und Frankreich. Die Mehrzahl der Euroländer erreicht die Zielvorgabe nicht. Das heißt aber auch, dass der EZB-Rat, der den geldpolitischen Kurs absegnet, von den Vertretern der höher verschuldeten Staaten dominiert ist.

Angesichts der anhaltenden Verschuldung warnt Lars Feld, Mitglied des Sachverständigenrats und Leiter des Walter Eucken Instituts in Freiburg: „Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ist im Euroraum seit einiger Zeit zum Erliegen gekommen. Die Schuldenstände sind hoch, und im Falle einer plötzlich eintretenden Krise hätten die Mitgliedsstaaten Schwierigkeiten, fiskalisch gegenzusteuern.“ Die mittlerweile in allen Euroländern zu beobachtende gute konjunkturelle Situation ist maßgeblich von der expansiven Geldpolitik mit ausgelöst worden.

Keineswegs sicher ist indes, ob die damit einhergehenden höheren Einnahmen der Staaten in ausreichendem Maße dazu verwendet werden, die notwendigen strukturellen Reformen forciert voranzutreiben, und ob es zu einem nachhaltigen Abbau der Gesamtverschuldung kommen wird.
Im Herbst 2019 wird Mario Draghi das EZB-Zepter aus der Hand geben. An einem turbulenten Ende seiner Regentschaft dürfte ihm kaum gelegen sein, zumal er bei Kontinuität in der Geldpolitik seinen EZB-Rat mehrheitlich hinter sich weiß.