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Verbandstag: Genossenschaften in Weser-Ems sind aus der Corona-Krise gestärkt hervorgegangen

08.09.2021

Genossenschaftsbanken im 1. Halbjahr 2021 weiter auf Wachstumskurs / Planungssicherheit und Bürokratieabbau erforderlich, um Strukturwandel und Energiewende weiter aktiv zu gestalten

 © MARKUS HIBBELER

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Der Verbandstag des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems fand in den Weser-Ems Hallen in Oldenburg statt. Das Grußwort sprach der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (Mitte) umringt von Ralph Zollenkopf (Verbandsratsvorsitzender, rechts) und Johann Kramer (Präsidiumsmitglied, links), dahinter von links: Klaus Krömer (Vorsitzender des Rechnungsausschusses), die Verbandsdirektoren Axel Schwengels und Johannes Freundlieb, Franz Meyer (Präsidiumsmitglied) und Heiko Plump (Präsidiumsmitglied).

Oldenburg. „In Zeiten der Pandemie-Bewältigung beweisen die Genossenschaften, dass sie krisenfest sind und man sich auf sie verlassen kann. Unser genossenschaftliches Erfolgsrezept liegt in unserer gemeinsamen Kraft, uns auf das veränderte Umfeld einzustellen, und dort, wo es sein muss, sich immer wieder neu zu erfinden. Das Prinzip der gemeinschaftlichen Hilfe zur Selbsthilfe erscheint heute so aktuell wie in den Anfangszeiten der Genossenschaften. Es ist ebenso zeitlos wie die Erkenntnis: Miteinander können wir mehr erreichen!“ Mit diesen Worten leitete Verbandsdirektor Johannes Freundlieb seine Rede auf dem Verbandstag des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems ein. Etwa 120 Vertreter der 314 genossenschaftlichen Mitgliedsunternehmen waren der Einladung zum Verbandstag am 8. September in die Weser-Ems Hallen nach Oldenburg gefolgt. Unter den Gästen waren auch der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers, der ein Grußwort sprach, sowie der Journalist, Moderator und Börsenkorrespondent Markus Gürne mit seinem Gastvortrag „Der Wirtschafts-Virus: Wie Corona die Welt verändert hat und was das für Sie bedeutet“. Die Veranstaltung fand corona-bedingt mit eingeschränkter Personenanzahl statt.

Der Verbandsratsvorsitzende Ralph Zollenkopf führte durch den Verbandstag und hob in seiner Begrüßung die Rolle der Genossenschaftsorganisation in den von Corona geprägten Zeiten hervor: „Unsere genossenschaftlichen Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sorgen seit über 150 Jahren dafür, dass die genossenschaftliche Idee auch in turbulenten Zeiten Halt gibt und erfolgreich ist.“ Mit Blick auf aktuelle und kommende Herausforderungen, wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Fachkräftemangel, ermunterte er die Mitglieder mit Zuversicht und Weitblick voranzugehen und Veränderungen aktiv zu gestalten: „Vertrauen wir auf die Stärke unserer Region Weser-Ems, auf die Leistungsfähigkeit unserer Genossenschaftsorganisation und auf unseren Verband, der uns als Partner zur Seite steht.“

In seinem Grußwort würdigte der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers das Genossenschaftswesen: „Der Genossenschaftsgedanke ist mit seinen Werten und Prinzipien eine wahre Erfolgsgeschichte, der an seiner Aktualität bis heute nichts verloren hat: Interessen zusammenschließen, um Kräfte zu bündeln und gemeinsam Aufgaben zu bewältigen. Der Genossenschaftsverband Weser-Ems vereint unter seinem Dach über 300 Mitgliedsunternehmen, die in vielen unterschiedlichen Geschäftssparten tätig sind. Damit bildet er mit seinen Mitgliedern einen stabilen Kern der mittelständischen Wirtschaft in seiner Region sowohl durch den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb als auch durch soziale Verantwortung, auf den man vor Ort zählen kann.“

Die Verbandsdirektoren Johannes Freundlieb und Axel Schwengels berichteten über die wesentlichen Ergebnisse 2020 der 314 Mitgliedsunternehmen sowie über die Verbandsarbeit und verliehen in ihren Ausführungen den genossenschaftlichen Positionen mit Blick auf die kommende Bundestagswahl besonderen Ausdruck.

Mitgliedsgenossenschaften entwickeln sich insgesamt positiv

Die Volksbanken Raiffeisenbanken, die Waren-, Vermarktungs- und Dienstleistungsgenossenschaften, die Energiegenossenschaften, die vielen weiteren Genossenschaften und die vielfältigen Mitgliedsunternehmen anderer Rechtsform mit annähernd 555.000 Mitgliedern und fast 10.000 Beschäftigten sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in und für die Region.

Die Genossenschaftsbanken sind in der aktuellen Corona-Krise Teil der Lösung. Sie versorgen die Bevölkerung mit Bargeld und halten den Zahlungsverkehr aufrecht; sie sorgen für Liquidität und sind unverzichtbar für eine schnelle und reibungslose Kreditversorgung besonders des Mittelstands. An der Vermittlung der Corona-Hilfskredite haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken bundesweit mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent einen maßgeblichen Beitrag geleistet. So wie sich die Wirtschaft in Weser-Ems 2020 alles in allem robust zeigte, stehen auch die Genossenschaftsbanken in Weser-Ems auf einem gesunden Fundament. „Das gute Jahresergebnis zeigt ihre nachhaltige Rentabilität und Kapitalstärke und ist Folge ihrer gleichermaßen vorausschauenden wie mitglieder- und kundenorientierten Geschäftspolitik. Als Nachbarschaftsbanken sind sie zur Stelle, wo Hilfe nötig ist, und die eindrucksvollen Ergebnisse spiegeln das hohe Vertrauen der Mitglieder und Kunden in ihre Genossenschaftsbanken wider“, hob Freundlieb hervor. Das addierte Bilanzvolumen der 56 in unsere Statistik einbezogenen Genossenschaftsbanken umfasste zum Jahresende 2020 rund 33,38 Milliarden Euro (plus 8,8 Prozent). Die durchschnittliche Bilanzsumme ist um 12,6 Prozent auf 596,07 Millionen Euro (Vorjahr: 529,14 Millionen Euro) gestiegen. Das Betriebsergebnis vor Bewertung in Höhe von 0,88 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme fällt gegenüber dem Vorjahr (0,98 Prozent) niedriger aus, ist im Bundesvergleich aber erneut ein Spitzenwert.

Die guten Ergebnisse setzen sich auch im 1. Halbjahr 2021 fort: Besonders erfreulich haben sich in den ersten sechs Monaten die Kredite an Kunden entwickelt, die um 5,04 Prozent angestiegen sind und insgesamt ein Volumen von 25,85 Milliarden Euro erreichten. Dies sind rund 1,4 Prozentpunkte mehr als der Anstieg im selben Zeitraum des Vorjahres. Auch die Kundeneinlagen haben sich auf 22,92 Milliarden Euro erhöht, das ist ein Plus von 2,89 Prozent. Das erwartete Betriebsergebnis vor Bewertung für 2021 beläuft sich trotz der herausfordernden Rahmenbedingungen auf gute 0,84 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme. „Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind robust und können die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie gut bewältigen, auch wenn noch nicht alle Spätfolgen in Gänze absehbar sind“, resümierte Verbandsdirektor Axel Schwengels in seinen Ausführungen zur aktuellen Situation.

Ein positives Bild zeigt sich auch mit Blick auf die Ländlichen Mitgliedsunternehmen des Verbandes. „Gerade die für unsere Region so bedeutende Agrarbranche mit ihren Ländlichen Genossenschaften und Gesellschaften stellt ebenfalls unter Beweis, dass auf sie auch in Krisenzeiten Verlass ist. Unter schwierigsten Marktbedingungen, zu denen neben der Covid-19-Pandemie auch die Afrikanische Schweinepest zählte, konnten die genossenschaftlich orientierten Unternehmen in den Bereichen Obst und Gemüse, Ware, Milch sowie Energie ihre Umsätze im Vergleich zum Vorjahr sogar noch steigern, und die Viehvermarktungsgenossenschaften hielten ihre Umsätze im herausfordernden Umfeld immerhin auf Vorjahresniveau. Auch hier geben die genossenschaftlichen Werte Mitgliedern und Kunden Halt“, so Verbandsdirektor Johannes Freundlieb rückblickend.

Ende 2020 waren in Weser-Ems 72 Energiegenossenschaften mit 19.000 Mitgliedern in unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig. Zusammen mit den dem Verband angehörenden 11 Windparkgesellschaften sind sie Ausdruck für eine hohe Bürgerbeteiligung in der Energiewende. Schwerpunkt dieser Mitgliedsunternehmen ist die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, wie Wind und Sonne, sowie die Versorgung mit Strom, Gas und Nahwärme. Für 2020 betrug der Gesamtumsatz aller Energiegenossenschaften in Weser-Ems knapp 110 Millionen Euro (Vorjahr: 100 Millionen Euro).

Neben den zuvor genannten Unternehmen gehören dem Verband 70 weitere Genossenschaften und 17 Gesellschaften an. Das Spektrum ihrer Geschäfte reicht von Fischerei, Wohnen, Gesundheit und Soziales über genossenschaftlich organisierte Kindertagespflege, regionale Entwicklung und lokale Daseinsvorsorge bis zur Pferdezucht.

Genossenschaftliche Neugründungen und Nachwuchsarbeit

Genossenschaften sind eine sehr insolvenzsichere und transparente Rechtsform und erfahren bei Gründungen eine Renaissance. Durch die intensive verbandseigene Gründungsberatung konnten 2020 elf neue Genossenschaften in den Bereichen Energie, Wohnen, Dienstleistung und Soziales gegründet werden; 2021 sind bereits sechs weitere Genossenschaften dazugekommen. In dem Projekt „Nachhaltige Schülergenossenschaften“ engagiert sich der Verband dafür, Menschen früh für die genossenschaftliche Idee zu begeistern. Derzeit werden 28 Schülergenossenschaften von dem Verband betreut und von den Mitgliedsunternehmen unterstützend begleitet.

Genossenschaftliche Positionen zur Bundestagswahl
Nachhaltiges Wirtschaften erfordert verlässliche Rahmenbedingungen und praxisorientierte Lösungen

„Genossenschaften zeigen sich in Krisenzeiten leistungsstark, übernehmen Verantwortung und handeln pragmatisch. Diesen gesunden Pragmatismus wünschen wir uns zuweilen auch von der Politik“, so Verbandsdirektor Axel Schwengels mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl. Ein großes Thema ist Nachhaltigkeit. Gesellschaft, Politik und Aufsicht nehmen es immer intensiver in den Blick. Für diese Transformationsaufgabe bringen die Genossenschaftsbanken mit ihrem werteorientierten Geschäftsmodell, ihrem Förderauftrag und ihrer regionalen Verankerung schon heute beste Voraussetzungen mit. Das Thema Nachhaltigkeit spielt natürlich auch bei den Ländlichen Genossenschaften und Gesellschaften eine zentrale Rolle. Auch hier ist es Verpflichtung und Chance zugleich, sich konsequent damit auseinanderzusetzen. Dabei sind die ländlichen Mitgliedsunternehmen bereits vielfach nachhaltig engagiert. Das gilt aus ökonomischer, sozialer und ökologischer Perspektive, zum Beispiel im Umwelt- und Landschaftsschutz. „Die Offenheit der Genossenschaften für Veränderungen und Weiterentwicklungen einerseits muss aber einhergehen mit Planbarkeit und Verlässlichkeit andererseits. Hierfür muss die Politik die Rahmenbedingungen gestalten und den nach wie vor mit hoher Intensität voranschreitenden Strukturwandel in der Agrar- und Ernährungswirtschaft sachgerecht begleiten. Beispielsweise sind endlich Entscheidungen beim Umbau der Tierhaltung zu treffen, die den Landwirten verlässliche Bedingungen bieten und für fairen Wettbewerb sorgen“, betonte Verbandsdirektor Schwengels.

Derzeitige Ausschreibungsgrenzen gefährden genossenschaftliche Energiewende

Einen wichtigen Nachhaltigkeitsbeitrag leisten ebenfalls die Energiegenossenschaften. Für den Ausbau einer sicheren und erneuerbaren Energieversorgung vor Ort erfüllen sie einen wichtigen Zweck im Zuge der Energiewende. Sie fördern das dazu notwendige gemeinschaftliche Engagement, ermöglichen eine aktive Teilhabe der Bürger und tragen damit wesentlich zur gesellschaftlichen Akzeptanz bei. Doch für die Energiegenossenschaften enthält das final ausgehandelte Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) mehr Schatten als Licht. „Ihre unternehmerische Tätigkeit behindern wird insbesondere der faktische Ausschreibungszwang für Photovoltaikdachanlagen zwischen 300 und 750 Kilowatt, weil dieser deren Hauptgeschäftsfeld betrifft. Diese Ausschreibungsgrenzen in der nächsten EEG-Novelle wieder zu erhöhen, ist eine Hauptforderung unseres Verbandes und der weiteren genossenschaftlichen Regionalverbände sowie der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband DGRV im Zuge der Bundestagswahl. Daneben stehen weitere Forderungen wie die Förderbedingungen für Photovoltaikanlagen außerhalb von Ausschreibungen anzupassen und eine genossenschaftliche Mitgliederversorgung einzuführen“, führte Schwengels aus.

EZB muss verfassungswidrige Negativzinspolitik beenden

Die seit Jahren andauernde Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) trifft Sparer und Genossenschaftsbanken hart. Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Paul Kirchhof hält sie sogar schlicht für verfassungswidrig und für einen Verstoß gegen europäische Grundfreiheiten. „Negativzinsen sind Gift für unser Finanzsystem und haben das Potenzial, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Währung zu beschädigen. Primäres Ziel der Geldpolitik ist die Geldwertstabilität. Dazu braucht es keine Negativzinsen, zumindest mittlerweile nicht mehr. Die EZB sollte sich auf ihre Aufgabe als Währungshüterin konzentrieren“, mahnte Schwengels.

Mitglieder stimmen für Satzungsänderung

Im Rahmen des Verbandstages stimmten die teilnehmenden Mitglieder für eine Änderung der Verbandssatzung. Insbesondere wird mit der Satzungsänderung nun die Möglichkeit eröffnet, Bezirksversammlungen und Fachtagungen, den Verbandstag sowie Sitzungen des Verbandsrats in virtueller oder hybrider Form abhalten zu können, wenngleich diese Veranstaltungen bzw. Sitzungen auch künftig im Regelfall in Präsenz stattfinden sollen. Auch das Präsidium soll künftig seine Beschlüsse im Wege der schriftlichen Abstimmung oder durch andere Fernkommunikationsmedien fassen können.

Der nächste Verbandstag ist geplant für den 7. September 2022.