Agrarpolitischer Austausch in Leer
veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 05/2015
„Welche Art von Gesellschaft wollen wir in diesem Land? Wie gehen wir (alle) mit der Landwirtschaft um?“


Der zunehmende Strukturwandel in der Landwirtschaft und das Image der Agrar- und Ernährungswirtschaft standen im Mittelpunkt eines agrarpolitischen Austausches zwischen Vertretern der Vereins Ostfriesischer Stammviehzüchter, Ostfriesische Viehverwertung, Zucht- und Absatzgenossenschaft eG (VOST), unseres Verbandes und der Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann am 10. April in Leer.
Gitta Connemann, seit kurzem stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied des Bundestagsausschusses Ernährung und Landwirtschaft, wurde herzlich begrüßt von unseren Verbandsdirektoren Johannes Freundlieb und Georg Litmathe, Abteilungsleiter Harald Lesch, dem VOST-Geschäftsführer Dr. Cord-Hinnerk Thies, dem VOST-Aufsichtsratsvorsitzenden Manfred Gerken, dem VOST-Vorstandsvorsitzenden Dieke Jansen und dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der VOST Johannes Vienna.
VOST-Geschäftsführer Dr. Cord-Hinnerk Thies begrüßte die Gäste und stellte die Genossenschaft vor, die bereits im Jahr 1878 gegründet wurde. Sie vermarktete im vergangenen Geschäftsjahr 86.000 Tiere und führte 260.000 Besamungen durch. Zu der Genossenschaft gehören 2.300 Mitglieder, an den drei Standorten Aurich, Leer und Georgsheil sind 118 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig.
Der Vorstandsvorsitzende Dieke Jansen ergänzte, dass der VOST-Bulle Cinema laut Zuchtwertschätzung im April unter den Jungbullen als Nummer 1 in Deutschland gewertet wurde und Burundi sich als bewährter Vererber mit RZG 139 auf Rang 11 der deutschen Topliste wiederfindet. Ein großer Erfolg der Genossenschaft, zu dem die anwesenden Gäste herzlich gratulierten.
Verbandsdirektor Johannes Freundlieb ging auf die guten Geschäftsergebnisse der Vieh vermarktenden Genossenschaften und insbesondere der Herdbuchgenossenschaften ein. Er stellte des Weiteren die hohe Bedeutung der Landwirtschaft für die Entwicklung der Region heraus.
„Wenn es den Landwirten gut geht, können auch wir gut arbeiten“ mit dieser Aussage von Dr. Thies begann die Diskussion. Denn da liegt vieles im Argen.
Gesellschaftliches Ansehen
„Es fehlt die Nähe zur Landwirtschaft“, so Gitta Connemann. Früher kam fast jeder Einheimische mit der Landwirtschaft in Berührung, kaum jemand, der in seiner Verwandschaft nicht einen Landwirt hatte. Es war allen bekannt, wie Landwirtschaft „funktioniert“. Das ist heutzutage bei weitem nicht mehr der Fall. Selbst in den Schulen würde das Thema Landwirtschaft stiefmütterlich behandelt und es ist festzustellen, dass durch die fehlende Nähe auch viele Lehrkräfte nicht wirklich wissen, wie es auf den Höfen aussieht, und diese ein falsches Bild vermitteln. Connemann erzählte von Kindern, die von einem landwirtschaftlichen Hof kommen, in den Schulen gemoppt wurden und diese wechseln mussten. „Auch hier in Ostfriesland“, so Connemann. Verbandsdirektor Freundlieb ergänzte, dass auch ihm ein solcher Fall bekannt sei. Gerken ergänzte, dass Vertreter der Landjugend ihm gesagt haben, dass sie sich keine betriebswirtschaftlichen Sorgen machen, sie allerdings überlegen, ob sie bei diesem hohen Grad an gesellschaftlicher Missachtung sich weiterhin in der Landwirtschaft engagieren wollen.
Fortschritt und Landwirtschaft
Der Landwirt von heute ist, so waren sich alle einige, ein sehr anspruchsvoller Beruf, der viel Freude macht. Der Landwirt von heute muss sich vielen Aufgaben stellen. Nicht nur in Bezug auf die artgerechte Haltung von Tieren. Düngeverordnung, Ende der Milchquote, etc. Hinzu kommen übergreifende Gesetzesänderungen und stringente Auflagen. „Wir wünschen uns, dass überprüft wird, ob sie tatsächlich auch so greifen, wie es beabsichtigt war“, so Litmathe. „Jede weitere Auflage hemmt wirtschaftliches Wachstum und es trifft die Kleinsten am Schwersten“, so Connemann. Und obwohl die Lebensmittel- und Ernährungsindustrie die viertgrößte Branche in Deutschland ist, ist die Lobby für Landwirtschaft bundesweit nicht sehr ausgeprägt.
Darstellung der Landwirtschaft in den Medien
Viele Illustrierte vermitteln einen rosagefärbten Blick auf das bäuerliche Leben. Dem gegenüber stehen Berichterstattungen über so genannte Massentierhaltungen. Dass die Größe eines Betriebes nichts damit zu tun hat, ob Tiere artgerecht gehalten werden, geschweige denn, dass sich Tiere auf einem Hof mit kleineren Einheiten wohler fühlen als in großen, darüber waren sich die Teilnehmer des Austausches einig. „“Die Wucht, mit der die Ernährungs- und Lebensmittelbranche derzeit in den Fokus genommen wird, erschüttert mich“, so Gitta Connemann. Es gibt insbesondere in Deutschland extrem hohe Anforderungen an Lebensmittel produzierende Unternehmen und somit auch an Fleisch produzierende Unternehmen – auf der anderen Seite schaut der Verbraucher (vermeintlich) auf jeden Cent, wenn er Fleisch einkauft. 95 Prozent der 300.000 Vollerwerbsbetriebe in Deutschland sind Familienbetriebe – und keine industriellen Unternehmen.
Bedeutung der Landwirtschaft für die Region
Die Landwirtschaft prägt nicht nur die wirtschaftliche Situation der tätigen Landwirte. Auch die Bedeutung der vor- und nachgelagerten Aspekte wurde beleuchtet. Hierzu gehört unter anderem neben der gesamten Bruttowertschöpfung und den Arbeitsplätzen auch die Landwirtschaftspflege und die optische Prägung der Region.
Fazit
Die mangelnde Wertschätzung der Landwirtschaft ist ein großes Problem. „Dem Auseinanderdriften von Realität und Wahrnehmung in der Gesellschaft kann nur mit Sachlichkeit und Transparenz begegnet werden“, so Connemann. Verbandsdirektor Litmathe bestätigte, dass hier ein Strukturwandel eingeleitet worden sei, der so nicht gewollt ist, und dem aktiv begegnet werden muss.