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Vortrag von Ministerpäsident Weil

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 10/2016

Ministerpräsident Stephan Weil hielt auf unserem Verbandstag am 7. September den Vortrag "Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele - aktuelle Bedeutung von Genossenschaften"

Mit dem Zitat "Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele - aktuelle Bedeutung von Genossenschaften" haben die Väter des Genossenschaftsgedankens Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch etwas Grundlegendes zum Ausdruck gebracht in einer Zeit, in der die Gesellschaft offen war für Lösungsvorschläge zu der Frage „Wie schaffen wir das?“

Wirtschaftliche Not, eine Zeit der Umwälzung, der Beginn der Industrialisierung, der Arbeiterbewegung. Die Genossenschaft halte heute im Kern an den gleichen Prinzipien fest wie damals – den Begriffen „selbst“ und „mit“. Dieses Erfolgsrezept sei interessant und wichtig und es freue ihn, dass die Unternehmensform Genossenschaft angemeldet sei für die Aufnahme in das immaterielle Kulturerbe der UNESCO – wenn es dazu käme, im November dieses Jahres falle die Entscheidung, sei dies auch ein Qualitätssiegel für den Genossenschaftsverband Weser-Ems, so der Ministerpräsident.

Der Grundgedanke einer Genossenschaft habe gegenwärtig und auch künftig eine hohe Bedeutung. Die Herausforderung Globalisierung, die verstärkt werde durch die zunehmende Digitalisierung, führe dazu, dass Märkte neu verteilt und „Karten neu gemischt“ werden. Es wird nach Ansicht von Weil zu weiteren Konzentrationen kommen, von denen insbesondere die Agrarbranche betroffen sein wird. Damit verbunden wird für die gesamte Wirtschaft ein höherer Kapitalbedarf sein und es wird sich die Frage stellen, welche Zukunft kleinere Unternehmen künftig haben. Er prognostizierte, dass aus Industrie 4.0 Wirtschaft 4.0 würde und sieht die Unternehmensform Genossenschaft in ihrer Eigenschaft als Netzwerk für mittelständische Unternehmen eine Lösung. „Die Genossenschaft ist der Schlüssel für kleine Unternehmen, wo immer es geht, zusammen zu arbeiten“, so Weil wörtlich.

Das Wesen der Genossenschaft sei alles andere als schwächelnd, so der Ministerpräsident und führte auf, dass es in Niedersachsen derzeit mehr als 700 Genossenschaften gibt und dass die Niedersachsen führend gewesen seien bei der Gründung von neuen Genossenschaften in den vergangenen Jahren. Neue Herausforderungen wären erkannt und genossenschaftlich umgesetzt worden, wie beispielsweise in den Bereichen Erneuerbare Energien oder Wohnungen. 22 Millionen Mitglieder bundesweit – dies zeuge von einer Volksbewegung, so Weil.

Im Anschluss an diese Ausführungen ging der Ministerpräsident stichwortartig auf die Herausforderungen ein, denen sich derzeit die Genossenschaftsbanken, die Ländlichen Genossenschaften und die Energiegenossenschaften zu stellen haben.

Genossenschaftsbanken und Sparkassen befänden sich in einer Sandwich-Situation: Die seit langem anhaltende Niedrigzinsphase sei vergleichbar mit Tabletten – je länger man sie einnehme, je stärker seien die Risiken und Nebenwirkungen. Er wünsche sich diesbezüglich wieder normale Marktverhältnisse, so Weil.

Die andere Seite des Sandwiches bilde die Regulierung, die Gefahr laufe, „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Die Finanzmarktkrise sei insbesondere von Investmentbanken verstärkt worden, nicht von Banken mit „Brot und Butter“-Geschäft. Er plädierte für eine Beibehaltung des deutschen Einlagensicherungssystems – ein europäisches sei derzeit aufgrund der unkalkulierbaren Risiken nicht vertretbar. Und er brachte zum Ausdruck, was er von der Wohnimmobilienkreditrichtlinie hält: „Ich kann nicht erkennen, warum unser bewährtes System geändert wurde, das wir je Probleme gehabt hätten oder gar überdurchschnittliche Ausfälle: „Never change a running system“. Die Landesregierung habe ein Interesse daran, die Eigentumsbildung von Menschen zu fördern und nicht zu erschweren. Die Landesregierung sei kein Freund eines Systemwechsels und wird sich daran halten, so der Ministerpräsident abschließend zur aktuellen Lage der Genossenschaftsbanken.

Auch die Agrarwirtschaft, die unsere Region seit Jahrhunderten prägt, befindet sich in einer Sandwich-Situation. Zum einen steigen die gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich Tierwohl, Verbraucher- und Umweltschutz – insbesondere in den vergangenen 25 Jahren – zum anderen sei der Verbraucher nicht bereit, mehr Geld für seine Lebensmittel zu bezahlen. Es gebe in weiten Teilen der Verbraucherschaft immer noch eine „Geiz ist geil“-Mentalität. Es gelte deshalb, einen engen Austausch aller Beteiligten anzustreben, das Vertrauen für die hohe Qualität niedersächsischer Agrarerzeugnisse zu festigen oder gar wiederherzustellen. „Niedersächsische Agrarerzeugnisse haben das Recht, das man ihnen vertrauen kann“, so Weil.

Auch zum aktuellen Milchmarkt äußerte sich der Ministerpräsident: Der Verfall des Milchpreises sei Ausdruck der Überproduktion – und dies nicht nur in Deutschland. Er appellierte an die anwesenden Vertreter dieser Branche, darüber nachzudenken, inwieweit eine geringere Milchproduktion für die Branche insgesamt hilfreich sein könnte.

In Bezug auf die Energiegenossenschaften und die Novellierungen des EEG führte Weil aus, dass die Festabnahme von erneuerbarem Strom als Initialzündung gut und richtig gewesen sei, es mittlerweile aber so viele Akteure gäbe, dass sich der Markt selber regeln müsse. „Wind ist der Rohstoff des Nordens“, so Weil und ergänzte, dass die Landesregierung ein Interesse daran habe, die Akteursvielfalt auch in diesem Bereich zu erhalten und nicht nur die großen Unternehmen – sondern auch Genossenschaften – bei Ausschreibungen zum Zug kommen.

Der Ministerpräsident beendete seinen Beitrag mit den Worten: „Wir haben ein Interesse an dem Erfolg der Genossenschaften in Niedersachsen, an der guten Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft, an dem hohen Maß an gemeinsamen Aktivitäten und einer weiterhin guten Zusammenarbeit!“