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Spannende Diskussion: Genossenschaft und Wettbewerb

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 02/2017

„Genossenschaft, Management und Wettbewerb – Chancen und Regeln“: So lautete der Titel einer Informations- und Dialogveranstaltung der AGRAVIS Raiffeisen AG in Hannover. Vor rund 160 Vertretern von Haupt- und Primärgenossenschaften sprach dazu mit Andreas Mundt der oberste Wettbewerbshüter des Landes.

 © AGRAVIS Raiffeisen AG
Der AGRAVIS-Aufsichtsratsvorsitzende Franz-Josef Holzenkamp (v.l.) dankte den Podiumsteilnehmern Christoph Kempkes, Andreas Rickmers, Andreas Mundt, Dr. Clemens Große Frie, Prof. Klaus Josef Lutz und Dr. Ludger Schulze Pals für die engagierte Diskussion zum Thema: "Genossenschaft, Management und Wettbewerb - Chancen und Regeln".

Der Präsident des Bundeskartellamtes legte zu Beginn seiner Rede ein klares Bekenntnis zum Genossenschaftswesen ab. Es habe eine ganz besondere Berechtigung und könne die Position kleinerer, strukturell unterlegener Marktteilnehmer verbessern. „Auch Genossenschaften müssen sich jedoch an die Spielregeln des Wettbewerbs halten“, unterstrich Mundt. „Es gibt kein Genossenschaftsprivileg.“

Zwar erlaube das Gesetz landwirtschaftlichen Erzeugern und -gemeinschaften in engen Grenzen Vereinbarungen über die Erzeugung und den Absatz landwirtschaftlicher Produkte, weitergehende Absprachen über Preise und Vertriebsgebiete seien aber tabu, so Mundt unmissverständlich. Das häufig angeführte Regionalprinzip im Genossenschaftsbereich gebe es daher aus rechtlicher Sicht gar nicht. „Genossenschaften sind ganz normale Wettbewerber.“ Das gelte für Primärgenossenschaften untereinander genauso wie im Verhältnis zu den Hauptgenossenschaften, wenn sie auf der gleichen Marktstufe tätig werden. Für die Hauptgenossenschaften untereinander gelte dies natürlich ebenso.

Auf der Großhandelsseite im Agrarhandel sieht Mundt die Märkte überregional, teilweise auch über Landesgrenzen hinweg, die Erfassung von Feldfrüchten in der Ernte finde jedoch in kleinteiligen räumlichen Märkten statt.

Der Kartellamtspräsident griff in seinen Ausführungen auch ein paar Fälle mit großer Öffentlichkeitswirkung auf. Die vom Kartellamt untersagte, dann aber durch eine Ministererlaubnis genehmigte Fusion von Edeka und Kaiser´s/Tengelmann sei aus wettbewerblicher Sicht nicht optimal. „Sie führt zu einer weiteren Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, und die Zulieferer werden es nicht einfacher haben.“

Auch bei Mundts Aussagen zur Überprüfung der Lieferbedingungen von Rohmilch hörten die anwesenden Genossenschaftsvertreter genau hin. Untersucht werde, so Mundt, ob das Zusammenspiel aus 100-prozentiger Milchandienungspflicht, langfristigen Verträgen und Kündigungsfristen sowie Referenzpreissystemen und der Auszahlungsart des Milchgeldes den Wettbewerb unzulässig beschränke. „Das Bundeskartellamt ist hier an einer Lösung interessiert, die den Interessen der Landwirtschaft gerecht wird.“

Mundts Ausführungen wurden in einer anschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung von Dr. Ludger Schulze Pals (Chefredakteur der top agrar) weiter vertieft und auch kontrovers diskutiert. Der frühere AGRAVIS-Vorstandschef Dr. Clemens Große Frie kritisierte die langen potenziellen Tatzeiträume, die das Kartellamt untersuche. Selbstverständlich hielten sich die Genossenschaften an die Wettbewerbsregeln, so Große Frie, ihnen müsse bei derart langen Zeiträumen aber auch ein Erkenntniszuwachs zugestanden werden. Auf Große Fries Nachfrage betonte Mundt, dass das Kartellamt bei der Anwendung der sogenannten Bonusregelung selbstverständlich keinerlei Druck auf die Kronzeugen ausübe und auch deren Aussagen immer einer kritischen Prüfung unterziehe und dass bei möglichen Bußgeldern darauf geachtet werde, die Unternehmen dadurch nicht in die Insolvenz zu treiben.

Große Fries Nachfolger Andreas Rickmers hob die Vorteile des genossenschaftlichen Verbundes hervor. „Wir wollen der Landwirtschaft innovative, effiziente und kostengünstige Lösungen anbieten.“ Dafür sei die Zweistufigkeit das richtige Modell.

Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der Baywa AG, erinnerte an die Anfänge des Genossenschaftswesens. Es sei entstanden als Solidarakt, sich regional zu organisieren, um eine Hungersnot zu überstehen und ein eigenes Geschäft aufzubauen. „Daraus sind regionale geschäftliche Strukturen entstanden, die in ihrer Abgrenzung für uns heute aber keine Bedeutung mehr haben.“

Christoph Kempkes, Vorstandsvorsitzender der RWZ Rhein-Main eG, bemängelte die Verunsicherung in der genossenschaftlichen Welt. „Niemand weiß mehr genau, was erlaubt ist und was nicht.“ Er wünschte sich eine Klarstellung des Wettbewerbsrechts im Hinblick auf praxistaugliche Leitlinien für das tägliche Handeln.

Hauptaufgaben des Bundeskartellamtes mit Sitz in Bonn sind die Fusionskontrolle, Kartellverfahren zum Beispiel wegen Absprachen zu Preisen, Kunden und Gebieten sowie Missbrauchsverfahren, wie sie aktuell vor allem in der Digitalwirtschaft vorkommen. Das Bundeskartellamt wendet deutsches und europäisches Kartellrecht an. Die bei Kartellverstößen verhängten Bußgelder schwanken von Jahr zu Jahr stark, in 2014 erreichten sie 1 Mrd. Euro. Das Bundeskartellamt existiert seit 1958 und hat rund 350 Mitarbeiter, das Jahresbudget beträgt rund 30 Mio. Euro.