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Wirtschaftlicher Aufschwung setzt sich in Deutschland -abgeschwächt - fort

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 08/2018

Ein Konjunkturbericht zur Jahresmitte für die Leserinnen und Leser unseres Genossenschafts-Magazins Weser-Ems von Dieter W. Heumann

Zur Jahresmitte präsentierte sich die deutsche Wirtschaft in insgesamt guter Verfassung. Die Auftragsbücher waren nach wie vor gut gefüllt, die Kapazitäten über normal ausgelastet, die Beschäftigung und die privaten Einkommen weiterhin gestiegen. Also ein rundherum zufriedenstellendes Konjunkturbild. Dennoch, der konjunkturelle Aufschwung in Deutschland scheint nun - nach einem seit Mitte 2014 unaufhaltsamen Wachstumsanstieg - in seiner Spätphase angekommen zu sein. Zwar droht aus heutiger Sicht kein konjunktureller Absturz, aber die deutsche Wirtschaft verliert deutlich an Schwung.

Schon der Jahresauftakt gestaltete sich konjunkturell schwieriger als erwartet: Ein hoher Krankenstand, viele Streiktage sowie überdurchschnittlich viele Feiertage schlugen negativ zu Buche und das Bruttoinlandsprodukt wuchs mit real 0,3 Prozent im ersten Quartal nur noch ca. halb so kräftig wie im entsprechenden Vorjahresquartal. „Der Höhepunkt des Aufschwungs liegt leider definitiv hinter uns“, ist Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institut, überzeugt. Innerhalb Europas flauen die politischen Krisen keineswegs ab: Im Gegenteil, die unterschiedlichen Auffassungen zur Lösung der Flüchtlingskrise scheinen sich eher zu vertiefen und drohen die EU immer tiefer zu spalten, nachdem sich die Briten schon im vergangenen Jahr entschlossen hatten, die EU zu verlassen. Die Verhandlungen über einen Austritt brachten bis heute keine messbaren Ergebnisse. Zudem haben der Ausgang der Wahlen in Italien und die politischen Querelen in Spanien wieder verstärkte Zweifel an der Integrität der Europäischen Währungsunion geschürt. Das EU-Gipfeltreffen Ende Juni in Brüssel zeigte das Dilemma: Diskussion über Reformen im Euroraum wurde im Wesentlichen auf den übernächsten Gipfel im kommenden Dezember vertagt. Auch die geopolitische Lage hat sich im ersten Halbjahr nicht beruhigt. Im Nahen Osten bleibt die Lage verschärft.

Dies alles lässt die Unternehmen vorsichtiger agieren. Und mit Blick auf die Weltwirtschaft warnt Roberto Azevedo, Generalsekretär der Welthandelsorganisation WTO: „Wenn es zu einer Eskalation im Handelsstreit kommt, droht ein weltweiter Abschwung. Und wir sehen bereits Anzeichen, dass dieser Abwärtsprozess begonnen hat. Es gibt eine Zurückhaltung bei Investitionen und im Einkaufsverhalten der Unternehmen“. Im stark exportorientierten Deutschland verunsichert vor allem der zunehmende Protektionismus. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die Bundesbank und das Wirtschaftsministerium haben begonnen, ihre wirtschaftlichen Wachstumsprognosen für 2018 insgesamt nach unten zu korrigieren. Im Schnitt wird derzeit nur noch ein Wachstum von 1,8 bis 1,9 Prozent erwartet- nach deutlich über 2 Prozent zu Jahresbeginn. Dennoch, keiner der Ökonomen spricht bisher von einem konjunkturellen Abschwung. Für das BIP im II. Quartal rechnet Timo Wollmershäuser vom Münchner ifo Institut mit einem Wachstum von 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im III. Quartal dürften es 0,4 Prozent werden.

Zunehmend belasten politische Krisen das wirtschaftliche Geschehen und der amerikanische Präsident Donald Trump dreht genüsslich an der Zollschraube. Die amerikanischen Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte dürften kaum Auswirkungen auf den deutschen Außenhandel zeitigen. Zumal beide Warengruppen nur 0,1 Prozent der Gesamtausfuhren ausmachen. RWI-Chefvolkswirt Roland Döhrn aber warnt: „Selbst wenn nur kleine Teile des deutschen Exports von den verhängten US-Zöllen betroffen sind, dürfte das Aufkeimen des Protektionismus negativ auf das Exportklima wirken“. Dass der Trumpsche Protektionismus keine Grenzen zu kennen scheint, zeigt sein Handelsstreit mit China. Das anfängliche Geplänkel hat sich mittlerweile zu einem regelrechten Handelskrieg mit gegenseitigen Zollerhöhungen ausgeweitet – mit weltweiten Auswirkungen auch auf Europa und Deutschland, denn die Chinesen suchen neue Absatzmärkte. Und sollte Trump seine Drohung wahrmachen, und 20-prozentige Zölle auf Automobilimporte aus der EU erheben, rechnet Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für die deutsche Wirtschaft mit Produktionsausfällen von mehreren Milliarden Euro (Derzeit erheben die Amerikaner auf Import-Pkw Zölle in Höhe von 2,5 Prozent sowie auf SUV´s und Pick-ups 25 %. Die EU verlangt 10 Prozent). Jüngst ließ Trump seinen Botschafter in Berlin - an der Bundesregierung vorbei – im Kreise deutscher Automanager allerdings verkünden, man könne auch über eine Streichung der Zölle auf Automobile auf beiden Seiten sprechen. Kanzlerin Merkel signalisierte Entgegenkommen, betonte aber, das Verhandlungsmandat liege in Brüssel. Während sich zu Jahresbeginn die deutschen Exporte und Importe spürbar verringerten , dürften vor allem die Ausfuhren laut DIW im II. Quartal leicht zugenommen haben, wenngleich auch das entsprechende Vorjahresniveau nicht erreicht werden dürfte.

Aber es gibt auch Hoffnungsvolles zu berichten - zumindest für die Exporteure: Der US-Dollar profitiert von der weltweiten Unsicherheit - vor allem von den Krisen in Europa - und hat den Euro im Laufe des II. Quartals auf Talfahrt geschickt. Dieser hat sich gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum um ca. 7 Prozent verbilligt. Das macht die deutschen Ausfuhren wettbewerbsfähiger und könnte dazu führen, dass die exportorientierten deutschen Unternehmen ihre gesunkenen Gewinnerwartungen bald wieder nach oben revidieren.

Dass sich die deutsche Wirtschaft wieder etwas zu fangen scheint, signalisieren die letzten veröffentlichten Zahlen aus dem verarbeitenden Gewerbe: Nachdem die Unternehmen ihre Produktion bis April dieses Jahres vier Monate in Folge zurückfahren mussten, wurde sie im Mai unerwartet kräftig ausgeweitet. Laut Statistischem Bundesamt erhöhten Industrie, Bau und Versorger ihren Ausstoß gegenüber dem Vormonat um 2,6 Prozent. Das ist der höchste Wert seit November vergangenen Jahres. Auch konnte das verarbeitende Gewerbe im Mai erstmals seit vier Monaten wieder ein Auftragsplus (2,6 Prozent) verbuchen. Mehr Aufträge kamen insbesondere aus dem Inland und dem Euroraum. Dabei profitierten vor allem die Investitions- und die Konsumgüterhersteller. Der Anteil der Großaufträge war dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge ungewöhnlich niedrig.

Angesichts dieser Daten sowie besser als erwartet ausgefallener Einkaufsmanagerindizes rechnen nicht wenige Volkswirte mit einer Erholung der deutschen Wirtschaft: Laut DIW dürfte das Wachstum ab dem Sommerhalbjahr wieder etwas höher ausfallen als zum Jahresauftakt, aber weiterhin unter dem Vorjahresergebnis bleiben. Der ifo Geschäftsklimaindex für Juni signalisiert verbesserte Geschäftserwartungen der Unternehmen.

Ihre Beschäftigung bauen die Unternehmen weiter aus. Dies erklärt sich Michael Holstein von der DZ BANK durch volle Auftragsbücher und der robusten Binnenwirtschaft. Vor allem die gute Stimmung im Dienstleistungsgewerbe und am Bau sorgt für einen anhaltenden Abbau der Arbeitslosenzahlen. Die Arbeitslosenquote sank im Juni gegenüber dem Vormonat um 0,1 Prozent auf 5 Prozent. In der abgeschwächten Dynamik zeigt sich die nahende Vollbeschäftigung. Ein Problem bleibt nach wie vor der Fachkräftemangel, der sich aufgrund der mittlerweile allgemeinen konjunkturellen Belebung im Euroraum sogar weiter zuspitzt.

Zweifellos hat sich die angespannte Lage am Arbeitsmarkt im Jahresverlauf positiv auf die Lohnentwicklung ausgewirkt und zusammen mit steuerlichen Entlastungen in Höhe von fast 9 Milliarden Euro sowie Rentenerhöhungen zur Jahresmitte das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte gestärkt. Zudem bewirkten diese Faktoren und die leicht abnehmende Neigung in Immobilien zu investieren, dass - nach Berechnungen der Volkswirte der DZ BANK - die Sparquote weiter steigt und noch in diesem Jahr die 10-Prozent-Marke knacken dürfte. Allerdings hat auch die Inflation in Deutschland im ersten Halbjahr zugelegt und überschreitet mittlerweile die 2-Prozent-Marke. Angetrieben wird die Teuerung vor allem durch höhere Energie-, insbesondere Ölpreise. Allein durch die gestiegenen Ölpreise verringern sich nach Berechnungen der Commerzbank-Volkswirte die verfügbaren Einkommen um 0,7 Prozent-Punkte. Die höhere Inflationsrate sieht die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) neben der leicht nachlassenden Dynamik der Weltwirtschaft und dem Handelskonflikt als Belastung für die Binnenwirtschaft. Sie hat die Konsumwachstumsprognose für 2018 auf 1,5 Prozent gesenkt – nach 2 Prozent zu Jahresbeginn. Die Konsumkonjunktur bleibe aber intakt, auch wenn die Dynamik etwas nachlassen werde. Damit dürfte der Konsum eine wichtige Stütze der deutschen Binnenkonjunktur bleiben, die maßgeblich für die gegenwärtige Konjunkturentwicklung in Deutschland ist.

Nach langer Schwächephase hat sich die Investitionstätigkeit der Unternehmen hierzulande bereits im letzten Jahr spürbar verbessert. Laut DIW sorgen im laufenden Jahr nur noch die Anschaffungen der öffentlichen Hand für eine Ausweitung der Ausrüstungsinvestitionen. Die Unternehmen selbst halten sich aufgrund des unsicheren Umfeldes zurück, das zeigt sich vor allem bei Neubestellungen von Kraftfahrzeugen aber auch im Maschinenbau. Die Bauinvestitionen haben im I. Halbjahr weiter kräftig zugelegt, das gilt laut DIW sowohl für den Wohnungsbau als auch für den gewerblichen Bau, der von der hohen Auslastung der Kapazitäten profitiert. Da seit einiger Zeit die Zahl genehmigter Wohnbauten stagniert, wird nicht mit einer weiteren Beschleunigung der Wohnbautätigkeit gerechnet. Deutlich angezogen haben die Baupreise. Volkswirte rechnen für 2018 im Wohnungsbau mit einem Anstieg von ca. 4,2 Prozent, im Gewebebau mit 4,3 Prozent und im öffentlichen Bau mit 4,9 Prozent. Die Gründe: Kapazitätsengpässe, steigende Rohstoffkosten sowie hohe Lohnabschlüsse.

Allgemein werden mehr Investitionen in Deutschland angemahnt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) setzt auf staatliche Investitionen, weil sie auch das Umfeld für private Investitionen verbessern. Dies werde - so der Fonds - langfristig höheres Wachstum sichern, woran Deutschland in Zukunft zu kranken drohe. Der IWF rechnet für die kommenden Jahre in Deutschland mit einem kontinuierlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums – bis auf nur noch 1,1 Prozent in 2023. Mehr Investitionen würden zudem helfen, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss abzubauen.

Zweifellos ist es aber auch geboten, die Investitionstätigkeit der Unternehmen direkt zu fördern – zum Beispiel im Rahmen einer Unternehmenssteuerreform. „Nach zehn Jahren Reformstillstand sind dringend strukturelle Reformen des Unternehmenssteuerrechts notwendig, damit Deutschland auch in Zukunft für das Stammhaus der deutschen Unternehmen attraktiv bleibt“, so der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er fordert eine steuerliche Obergrenze von 25 Prozent. Doch die Bundesregierung reagiert bisher ablehnend und verweist auf die Notwendigkeit in der EU eine gemeinsame Steuerbasis zu schaffen, an der gegenwärtig zusammen mit Frankreich gearbeitet werde. Die Wirtschaftsweisen setzen sich seit Jahren dafür ein, Investitionen der Unternehmen aus Eigenkapital steuerlich genauso zu behandeln wie Kredite, die heute bevorzugt sind.