zur Übersicht

Das konjunkturelle Wachstum normalisiert sich

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 01/2019

Die deutsche Volkswirtschaft konnte im III. Quartal 2018 verglichen mit dem III. Quartal 2017 um 1,1 Prozent zulegen. Doch im Vergleich mit dem II. Quartal 2018 ist es zu einem Einbruch gekommen: Das Statistische Bundesamt hat für Juli bis September d. J. einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) um 0,2 Prozent errechnet. In den beiden Vorquartalen wurden noch Zuwächse von 0,4 und 0,5 Prozent errechnet. Diese Entwicklung kommentiert Redakteur Dieter W. Heumann in diesem Beitrag für unser Genossenschafts-Magazin.

Die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft spürt besonders, dass sich das Wachstum der Weltwirtschaft abschwächt. Aber auch der Euroraum hat den heißen Konjunktursommer hinter sich gelassen und ist in einen wachstumsmäßig moderateren Herbstmodus eingeschwenkt – mit deutlichen Eintrübungen für die weiteren Konjunkturaussichten, sodass sich EZB-Präsident Mario Draghi bereits genötigt sah, vor zunehmenden Risiken zu warnen. Neben dem Haushaltsstreit zwischen der EU und Italien sowie dem nicht enden wollenden Brexit-Desaster hat der eskalierende Handelskonflikt zwischen den USA und China  die Europäer verunsichert. Auch bei den Verhandlungen zwischen den USA und der EU zeigt sich bisher wenig Licht am Ende des Tunnels. Für Unsicherheit sorgt im Euroraum zudem der Einbruch des deutschen Wirtschaftswachstums. Die Bundesrepublik hat ihre einstige Funktion als Konjunkturlokomotive im Euroraum derzeit eingebüßt. Sie trägt sogar die Schlusslaterne.

Die deutsche Wirtschaft ist im III. Quartal erstmals seit dreieinhalb Jahren geschrumpft. Ökonomen machen für den konjunkturellen Schwächeanfall neben der schwächeren Exporttätigkeit einen deutlichen Produktionsrückgang in der Automobil- und -zulieferindustrie verantwortlich. Der Grund: Der neue Auto-Abgasprüfstandard (WLTP), der vielen Herstellern für die Zertifizierung nicht rechtzeitig für alle Modelle vorlag, sodass sie ab August ihre Produktion erheblich drosseln mussten. Die Autoproduktion ging im III. Quartal d. J. um 7 Prozent zurück. Dadurch verringerte sich das BIP um 0,3 Prozentpunkte. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats und Chef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph M. Schmidt, erwartet allerdings – aufgrund der hohen Kapazitätsauslastungen – dass der Produktionsausfall in den kommenden Monaten nur begrenzt aufgeholt werden kann. Destatis macht für den Rückgang des BIP im III. Quartal vor allem die außenwirtschaftliche Entwicklung – und hier die Exporte – verantwortlich. Die Ausfuhren schrumpften im Sommerquartal um 0,9 Prozent. Dabei schmerzt den Präsidenten des Außenhandelsverbandes BGA, Holger Bringmann, besonders, dass sich der Rückgang auf breiter Front vollzogen hat – „auch wenn er sich auf dem europäischen Markt in Grenzen hielt“. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwartet, dass die Exporte in diesem Jahr insgesamt um 2,8 Prozent steigen werden. Dies ist gegenüber dem langjährigen Durchschnitt eine Halbierung. Nach DIHK-Außenhandelschef Volker Treier bedeutet dies in den Auftragsbüchern ein Minus von 55 Milliarden Euro.

Zugenommen haben dagegen die Importe in die Bundesrepublik – um 1,3 Prozent. Verantwortlich für die verstärkte Einfuhrtätigkeit ist die anhaltend florierende deutsche Binnenwirtschaft. Laut Destatis erhält sie ihre Impulse derzeit vor allem von der Bauwirtschaft, die im III. Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,9 Prozent zulegte. Nach wie vor kamen kräftige wirtschaftliche Impulse vom Wohnungsbau. Die Nachfrage nach Wohnraum ist ungebrochen. Dennoch wird auch der Boom im Wohnungsbau nicht ewig anhalten. Vor allem könnte sich die Situation im Mietwohnungsbau langsam beruhigen, zumal die Baupreise schneller steigen als die erzielbaren Mieten. Das bedeutet, dass es für die Investoren im Mietwohnungsbau zunehmend schwieriger werden dürfte, die gewünschten Renditen zu erzielen. Der ifo Geschäftsklimaindex für das Bauhauptgewerbe sank im November – nach zuletzt vier Anstiegen in Folge – erstmals merklich. Sowohl die optimistischen Geschäftserwartungen als auch die Beurteilung der Geschäftslage wurden nach unten korrigiert.

Eine weitere Stütze der Binnenkonjunktur bildeten im III. Quartal die Ausrüstungsinvestitionen mit einem Wachstumsplus von 0,8 Prozent. Dennoch hat sich die Investitionsdynamik der Unternehmen nach hoffnungsvollem starkem Jahresauftakt im Verlauf 2018 verlangsamt, obwohl die Auftragsbücher gut gefüllt, die Produktionskapazitäten hoch ausgelastet und die Finanzierungsbedingungen günstig waren. Vor allem die unsichere weltpolitische Lage, die Zollpolitik der USA und innereuropäische Probleme – dürften die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und damit den Aufbau weiterer Kapazitäten gebremst haben. Zudem versäumt es die Politik seit Längerem, den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Es geht darum, die Anstrengungen der Unternehmen gerade im internationalen Bereich durch Reformen, z. B. in der Besteuerung, zu unterstützen und auszubauen – nicht aber zu torpedieren. Während z. B. in wichtigen Industrieländern, wie den USA, Frankreich, Großbritannien oder Belgien die Unternehmenssteuern bereits z. T. erheblich gesenkt worden sind oder eine Reduzierung ins Auge gefasst ist, hüllt sich die deutsche Wirtschaftspolitik in Schweigen. Dabei sorgen u. a. international wettbewerbsfähige Unternehmen auch für das Wachstum von morgen, was gebraucht wird, um die sozialen Wohltaten, die der Bevölkerung bereits zufließen oder von einer im Umfragedauertief befindlichen „Großen Koalition“ versprochen wurden, auch langfristig finanzieren zu können. Es kommen kaum noch Impulse aus Berlin, bedauert Michael Hüther, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (IW). Nach Ansicht der „Fünf Wirtschaftsweisen“ gehört der Solidaritätszuschlag komplett abgeschafft.

Zweifellos hat der erhöhte Umfang sozialer Leistungen mit dazu beigetragen, die Kaufkraft der privaten Haushalte zu stärken, sodass ihr Konsum – neben der Bauwirtschaft – schon seit Längerem zu einer tragenden Säule der deutschen Konjunktur herangewachsen ist. Jedoch hat die Konsumsäule im III. Quartal leichte Risse bekommen: Der private Verbrauch schrumpfte um 0,3 Prozent. Destatis verweist auf die Zurückhaltung privater Haushalte beim Kauf neuer Kraftfahrzeuge.

Nach Ansicht der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sind auch die weltwirtschaftlichen Unsicherheiten beim Verbraucher angekommenen. Ferner beunruhigt die Verteuerung der Energie und der Nahrungsmittel. Der Anstieg der Lebensmittel-, der Heizöl- und Gaspreise sowie der kräftig angestiegene Spritpreis schlagen sich sichtbar negativ in den Portemonnaies der Verbraucher nieder und belasten den Konsum. Die anhaltend gute Entwicklung der Löhne und Gehälter sowie die für Arbeitnehmer guten Aussichten am Arbeitsmarkt werden gegenwärtig ausgeblendet. Man blickt derzeit skeptischer in die Zukunft und spart eher etwas mehr. Dennoch, für den Handel ist 2018 das neunte Wachstumsjahr in Folge. Laut GfK, die keinen Grund sieht, von ihrem Wachstumsziel für 2018 in Höhe von 1,5 Prozent abzurücken, wird sich das gute Bild erst dann ändern, wenn erste Unternehmen beginnen, ihre Planungen – etwa im Bereich der Beschäftigung – zu ändern, wobei die Nürnberger Konsumforscher die Automobilindustrie besonders fest im Blick haben.

Weiterhin insgesamt robust zeigt sich der Arbeitsmarkt. Dennoch ist das ifo Beschäftigungsbarometer im November gefallen. Die deutsche Wirtschaft stellt zwar weiter ein, aber weniger kräftig als zuvor, so ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Das gelte besonders für den Dienstleistungssektor – weniger ausgeprägt dagegen für die Industrie und den Handel. Der Bau, insbesondere der Tiefbau, beklagt einen starken Arbeitskräftemangel.

Die hierzulande besonders gefürchtete Inflation hat mittlerweile ein Zehn-Jahres-Hoch erreicht und dürfte ein Thema bleiben. Dafür werden neben höheren Güterpreisen, aufgrund eines in weiten Teilen leergefegten Arbeitsmarktes, weiter steigende Löhne und Gehälter sorgen. Ende November meldeten die Wiesbadener Statistiker für Deutschland eine Teuerungsrate von 2,3 Prozent. Auch im Euroraum insgesamt liegt die Inflationsrate an der Zielgröße von „nahe, aber unter 2 Prozent“, ab der die EZB die Zinszügel im Euroraum wieder anziehen wollte. Doch wie es scheint, wird die Europäische Notenbank es dabei belassen, Anleiheankäufe bis Ende des Jahres zu beenden und ab 2019 nur noch auslaufende Titel im Depot zu ersetzen. Unter konjunkturellem Aspekt hätten die Zinsen längst angehoben werden müssen. Doch die Konsolidierung hoch verschuldeter Staaten und Banken im Euroland geriete in Gefahr – Italien ist derzeit nur das größte Problem unter den hoch verschuldeten Südeuropäern. Die erheblichen Zugeständnisse Macrons an die Gelbwesten in Frankreich geben ebenfalls zur Sorge Anlass. Die EZB droht durch ihre Niedrigzinspolitik in ein Szenario zu schlittern, indem die nächste Krise kommt, ohne dass die letzte bereits völlig überwunden ist.

Dagegen verkündete Bundesfinanzminister Olaf Scholz bei der Vorlage des deutschen Bundeshaushalts 2019, dass die „Schwarze Null“ zum sechsten Mal in Folge gehalten werden konnte. Auch die Gesamtverschuldung sieht er „im günstigsten Fall schon in diesem Jahr“ unter 60 Prozent des BIP. Für 2019 sind Ausgaben von gut 356 Milliarden Euro vorgesehen – knapp 15 Milliarden Euro mehr als 2018. Scholz mahnt aber zur Vorsicht, sollte die gute Entwicklung nicht mehr so weiterlaufen wie in den vergangenen Jahren. Sicherlich dürfte es für den Finanzminister schwierig werden, etwa der Empfehlung der OECD ohne Weiteres zu folgen, Steuerkürzungen und Ausgabensteigerungen vorzunehmen, falls die Konjunktur stärker abgleiten sollte. Wie weit die Geldpolitik ein Partner in der Krise sein kann, ist fraglich, zumal sie derzeit keine konjunktur-
stimulierenden Pfeile in ihrem Zinsköcher hat.

Doch an eine baldige wirtschaftliche Stagnation oder gar an eine Rezession mag heute kaum einer der Ökonomen glauben. Nach einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum von 2,3 Prozent in 2017, rechnet die Bundesregierung für dieses und das kommende Jahre mit jeweils 1,8 Prozent Anstieg des BIP.

Der Sachverständigenrat ist skeptischer und prognostiziert 1,6 bzw. 1,5 Prozent. Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren etwa in gleicher Höhe wie die „Fünf Weisen“. Allerdings erwartet das ifo Institut für 2019 nur ein Wachstum von 1,1 Prozent. 2020 sollen es laut ifo dann 1,6 Prozent werden. Der Grund: mehr Arbeitstage. Sowohl ifo als auch das DIW Berlin betonen, dass sie derzeit keinerlei Rezessionsgefahren sehen. Der allgemeine Tenor: Die außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Jahre sind vorbei – das konjunkturelle Wachstum normalisiert sich.