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Nordwestdeutscher Milchtreff: Plattform für Milch-Dialog

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 02/2019

Wie arbeiten branchenkritische Gruppen und Verbände? Welche Denkmuster haben Milchkritiker und wie gehen sie vor? Diesen und weiteren Fragen gingen die über 300 Gäste gemeinsam mit Gastreferentin Johanna Bayer Mitte Januar auf dem Nordwestdeutschen Milchtreff in der Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund in Berlin nach.

 © Milchland Niedersachsen
Der Nordwestdeutsche Milchtreff war erneut gut besucht und es wurde auch intensiv diskutiert.

Die Veranstalter, die Landesvereinigungen der Milchwirtschaft der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie die Milcherzeugervereinigung Schleswig-Holstein e.V., hatten zum neunten Mal zu diesem Austausch im Rahmenprogramm der Internationalen „Grünen Woche“ in Berlin eingeladen, der bereits vor 13 Jahren von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V. (LVN) ins Leben gerufen wurde.

Wissenschaftsjournalistin und Foodbloggerin Johanna Bayer, die viele Jahre für Wissenschaftsmagazine im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gearbeitet hat, betonte in ihrem Vortrag: „Die Themen der Milchkritiker, wie  Massentierhaltung, Klima und Umwelt, betreffen uns alle. Und um Vertrauen zurückzugewinnen bzw. vertrauenswürdig zu sein, sollte man sich kompetent, ehrlich und rücksichtsvoll präsentieren.“

Tobias Dünow, Dienststellenleiter der Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund, eröffnete den Nordwestdeutschen Milchtreff mit einem Grußwort, das die verschiedenen Perspektiven von Stadt und Land auf die Welt an den Anfang stellte. „Jeder hat eine andere Brille auf, der Blick auf die Realität ist nicht derselbe.“ Wichtig sei die Bereitschaft, die Perspektive auch einmal zu wechseln. Er lobte die Veranstalter, dass sie diesen Weg einschlagen und dabei auch schwierige Themen mit ansprechen: „Sie treiben den Dialog voran, z. B. mit dem Projekt My KuhTube. Und Sie bieten auch mit diesem Milchtreff die Bühne für Gespräche.“ Auch die Ländervertretung biete gerne so eine Bühne, um den Dialog mit Vertretern der Politik zu ermöglichen, so Dünow.

Beim Milchtreff, so Jan Heusmann als Vorstand der Landesvereinigung, ist es ein großes Anliegen, einen bunt gemischten runden Tisch abzubilden. Mit Branchen-vertretern/-innen, Gästen aus Politik, Wissenschaft, Handel und den unterschiedlichsten Interessenvertretungen wolle man sektorübergreifend einen konstruktiven und durchaus auch kontroversen Dialog fördern.

„Der Milchtreff bietet die Gelegenheit, in der ungezwungenen Diskussion Verständnis für unterschiedliche Positionen zu wecken. Wenn aus den Gesprächen Verständnis und Respekt füreinander entsteht, dann hat der Milchtreff bereits mehr als seine Aufgabe erfüllt. Aus Respekt und Verständnis kann in weiteren moderierten Gesprächen dann die Bereitschaft zu Kompromissen erwachsen.“

Vertrauen gewinnen durch Emotionen

„Der vorausgesagte Megatrend – die vegetarisch-vegane Ernährung – lässt sich mit Zahlen aus wissenschaftlichen Erhebungen nicht belegen“, diese Botschaft überbrachte Wissenschaftsjournalistin und Foodbloggerin (quarkundso.de) Johanna Bayer an den voll besetzten Saal. Während der Vegetarierbund ProVeg (ehemals vebu) die Anzahl der Vegetarier in Deutschland auf rund acht Millionen schätze, bezifferten seriöse Studien diese auf maximal drei Millionen. ProVeg sei ein Interessenverband, werde aber als unabhängiger Fachverband wahrgenommen. Genau darin sieht Bayer die erfolgreiche Platzierung von Botschaften durch den Verband.

Vegetarismus und Veganismus beruhten nicht ausschließlich auf medizinischen Begründungen. Gerade Veganern, die auf alle Lebensmittel tierischer Herkunft verzichten, gehe es primär nicht um das Essen oder die Gesundheit, sondern um ethische und ökologische Ziele: „Sie üben mit ihrer Ernährungsweise Konsum- und Kapitalismuskritik aus. Die dabei herausgestellten Themen wie Massentierhaltung, Klima und Umwelt betreffen uns aber alle, denn auch viele Menschen, die Fleisch essen und Milch trinken, lehnen die agro-industrielle Tierhaltung und Landwirtschaft ab“, so die Journalistin.

Milchkritiker bringen in ihren PR-Strategien jedoch auch Fragen auf, die wissenschaftlich längst entschieden seien: Ist es für Menschen überhaupt natürlich, Milch zu trinken? Ist es normal, als Erwachsener Milch verdauen zu können?

Es ist dabei klar, dass der Mensch nicht in direkter Linie vom Affen abstamme, sondern von einem Allesfresser. Auch die engsten Verwandten des Menschen seien Allesfresser mit einem Anteil an tierischer Nahrung und Jagd.

Das Vorurteil „Milch verschleimt“ hält sich ebenfalls hartnäckig bei Milchkritikern, aber auch vielen Verbrauchern. Es habe seine Wurzeln in der alten medizinischen Säftelehre und ihren Heilmethoden wie Aderlass und Schröpfen. Diese entstammen antiken Prinzipien, auf die sich heutige Heilpraktiker gerne bezögen. Aus diesen Kreisen kämen daher auf Körpersäfte bezogene Vorbehalte gegen Milch.

All diese Fragen und Argumente, so Bayer, sind vornehmlich über das Internet zugänglich. Durch die Verbreitung im Netz können sie Wahrnehmung und Wirklichkeit der Verbraucher beeinflussen. Sie sieht diese Phänomene als Symptom einer derzeit herrschenden Vertrauenskrise, die Wissenschaft, Politik, Medien, Medizin, Behörden, Industrie und auch die Landwirtschaft betrifft.

Vertrauenswürdig ist derjenige, der sein Fach beherrsche, ehrlich, fair und rücksichtsvoll sei: „Nicht nur die Fakten zählen, sondern persönliche Emotionen. Wer Vertrauen gewinnen möchte, muss auch persönlich werden, anfassbar sein, mitbestimmen lassen und zuhören können“, resümierte Johanna Bayer. Unumstößlich ist es, dass bestimmte Gruppen von Verbrauchern milchskeptisch bleiben würden, gleichzeitig ist aber ein allgemeiner Trend zu mehr pflanzlichen Lebensmitteln und weniger vom Tier in offiziellen Ernährungsempfehlungen zu beobachten.

Das zeigte sich auch in dem aktuell veröffentlichten „EAT-Lancet-Report“, einer unabhängigen Kommission aus internatio-nalen Experten, in dem es darum geht, wissenschaftliche Kriterien für eine gesunde Ernährung und eine nachhaltige Landwirtschaft auf globaler Ebene zu erarbeiten. Die Verzehrmengen für Fleisch fallen darin erheblich geringer aus als bisherige Empfehlungen. Bei der Milch allerdings, so Bayer, sei der Anteil an der Ernährung unverändert und entspreche in etwa den bisherigen Regeln der DGE. Statt fettarmer Milch sei Vollmilch in die Empfehlungen aufgenommen worden.

In der anschließenden lebendigen Diskussion mit dem Publikum ging es unter anderem auch um die Arbeit von Journalisten: „Viele Redaktionen nehmen von Verbänden, NGOs oder Aktivisten geliefertes Material unkritisch an. Dass es sich dabei nicht um unabhängige Informationen handelt, geht im Alltagsgeschäft oft unter.“