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Nullzinsen könnten zu einem langwierigen Problem werden

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 05/2019

2016 ist die Europäische Zentralbank (EZB) unter ihrem Präsidenten Mario Draghi ins „Tal der niedrigen Zinsen“ hinabgestiegen. Und nun ist sicher: Der Marsch durch’s Tal der Tränen, wie er sich für die europäischen Anleger darstellt, wird wohl wesentlich länger dauern als bisher verkündet.


Ein Beitrag von Dieter W. Heumann.

Noch in diesem Jahr sollte es eigentlich verlassen werden, doch die Konjunktur in der Eurozone lahmt und das spielt den eisernen Verfechtern der lockeren Geldpolitik im EZB-Rat, den sogenannten Tauben – unter Führung des französischen Zentralbankpräsidenten Francois Villeroy de Galhau und Draghi – in die Hände. Aber auch die Falken im Rat – darunter Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank – die für den Einsatz der klassischen Geldpolitik eintreten und die darüber weit hinausgehende Lockerungen, wie sie die Tauben durchgesetzt haben, strikt ablehnen, verstummen angesichts der schwierigen konjunkturellen Situation zwangsläufig. In den letzten EZB-Ratssitzungen ließ Draghi durchblicken, dass der Leitzins bis mindestens Ende 2019 unverändert bei null Prozent bleibt. Der Einlagenzins für Banken wird zwar zunächst bei minus 0,4 Prozent bleiben; aber hier werden laut Draghi – aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten – Erleichterungen geprüft. Laut EZB-Chefvolkswirt Peter Praet könnte den Banken ein gewisser Freibetrag eingeräumt werden, ab dem die negativen Zinsen erst zuschlagen.

Ob aber der Leitzins schon im kommenden Jahr, wenn Draghis Amtsnachfolger das EZB-Zepter schwingen wird, ansteigen wird, darf bezweifelt werden. Das Problem: Viele Länder im Süden der Eurozone sind immer noch hoch verschuldet. Zwar ist die Gesamtverschuldung in der EU leicht gesunken. Sie beträgt aber immer noch mehr als 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Nur 60 Prozent erlaubt der Maastricht-Vertrag. Zwölf Eurostaaten überschritten 2018 laut IWF die 60-Prozent-Marke. In vier Euroländern belief sich die Staatsverschuldung sogar auf über 100 Prozent des BIP. Somit besteht die Gefahr, dass wieder steigende Zinsen zu erneutem Schuldenchaos in der Eurozone führen und die Finanzmärkte in Atem halten könnten. Es dürfte kein Zufall sein, dass die EZB in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht die Eurostaaten davor warnt, in großem Stil neue Schulden aufzunehmen.

Interessant ist es, in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Stimmverhältnisse im EZB-Rat zu werfen: Und da befinden sich derzeit eindeutig die den Niedrigzins vertretenden Tauben in der Überzahl. Nach Einschätzung von Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der Frankfurter DZ BANK, sind sie mit 8:5 Stimmen gegenüber den Falken im Vorteil. Die übrigen zwölf Ratsmitglieder gelten als neutral. Die beiden Lager unterscheiden sich derzeit eher darin, wie sie die Rolle der EZB sehen. Die Tauben scheuen auch den Einsatz ungewöhnlicher geldpolitischer Mittel nicht, um den Euro zu verteidigen und die Staatsschuldenkrise der südlichen Euroländer zu entschärfen.

In ihrer Not richten die europäischen Anleger ihre Blicke zunehmend nach Japan. Vor nunmehr 20 Jahren entschied sich die Bank of Japan (BoJ.) für eine Nullzinspolitik.

Der Grund für die expansive Geldpolitik: Japan litt seinerzeit unter den Folgen der Asienkrise, die das Land in die Rezession zwang. Der expansiven Geldpolitik war ein langes Ringen im Komitee der BoJ. vorausgegangen. Das Komitee-Mitglied Kazuo Ueda warnte: „Bringen Sie sich nicht in die Lage von Nullzinsen. Ich sage Ihnen, dass es viel schmerzhafter sein wird, als Sie es sich vorstellen können.“

Der japanische Notenbanker sollte recht behalten: Zwanzig Jahre Nullzinspolitik haben in Japan tiefe Spuren hinterlassen. Nach Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des Münchner ifo Instituts, hat die Nullzinspolitik den Japanern zwar zunächst geholfen, sodass die Wirtschaft nicht in die Deflation abgerutscht ist. Allerdings wirkte sie nach Sinn mit zunehmender Dauer kontraproduktiv. Während Unternehmen und private Haushalte die niedrigen Zinsen bis heute nicht genutzt haben, um ihre Verschuldung übermäßig auszubauen, erlag der japanische Staat der Droge Nullzins komplett: Die Staatsverschuldung ist von 60 Prozent des BIP Ende der 90er-Jahre auf derzeit über 240 Prozent angestiegen. Eher schwach war in den 20 Jahren das gesamtwirtschaftliche Wachstum.