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Konjunkturbericht: Der konjunkturelle Anstieg flacht sich weiter ab

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 07/2019

Eigentlich hatten viele Analysten für das zweite Halbjahr 2019 nach einem recht guten Jahresauftakt eine anhaltende weltwirtschaftliche Erholung erwartet. Doch im zweiten Quartal wuchs die Unsicherheit, ausgelöst durch den sich gefährlich zuspitzenden Handelskonflikt zwischen China und den USA.

Ein Beitrag von Dieter W. Heumann

 

US-Präsident Donald Trump legte bei den Strafzöllen nach und China reagierte scharf. Gleichzeitig lässt US-Präsident Donald Trump keinen Zweifel daran, dass auch Europa auf der amerikanischen Strafzoll-Agenda bleibt. Die Daten der Weltwirtschaft schwächen sich deutlicher ab als ursprünglich prognostiziert. Der globale, nach Ländern gewichtete Industrie PMI (Purchasing Managers Indices) ist im Mai gegenüber dem Vormonat erstmals seit 2012 unter den kritischen Wert von 50 gefallen. Selbst in den USA hat sich mittlerweile die Stimmung durch die Handels-konflikte eingetrübt. So haben 600 amerikanische Unternehmer dem US-Präsidenten einen Brandbrief geschrieben, in dem sie die US-Zollpolitik beklagen, die auch in den USA mittlerweile zu Preisanhebungen und Absatzrückgängen führt. Die Weltbank hat ihre Wachstumserwartungen für 2019 auf 2,6 und für das kommende Jahr auf 2,7 Prozent zurückgenommen.

In der Eurozone ist die Konjunktur tief gespalten. Während sich die Industrie in einer Rezession befindet, geht es im Dienstleistungssektor spürbar bergauf. Als Folge der Geldpolitik haben die extrem niedrigen Zinsen neben der Baunachfrage die Nachfrage nach Dienstleistungen gesteigert. Die Industrie leidet unter dem international um sich greifenden Handelsprotektionismus. Eine Wende der Entwicklung in der Industrie deutet sich nicht an. Voraussetzung wäre insbesondere eine Beilegung des Handelskonflikts zwischen den USA und China.

Deutsche Wirtschaft: Lichtblick Binnenkonjunktur

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die deutsche Wirtschaft „allen Unkenrufen zum Trotz“ gut aufgestellt. Sie befindet sich in der Tat immer noch auf einem Wachstumspfad, der sich allerdings abflacht. Der Start in das neue Jahr begann verheißungsvoll – mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Nach Ansicht der Deutschen Bundesbank war dies vor allem Nachholeffekten geschuldet. Dabei standen Autokäufe im Vordergrund, die wegen der Abgastests im vergangenen Jahr mit erheblichen Lieferschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Im zweiten Quartal schlugen jedoch die globale Konjunkturabkühlung und die anhaltenden politischen Unsicherheitsfaktoren voll auf die stark exportlastige deutsche Wirtschaft durch. Hinzu traten die vom immer noch ungelösten Brexit ausgehenden Unsicherheiten. Nach DIW-Präsident Marcel Fratscher waren die Risiken „selten so hoch wie jetzt“. Der ifo-Geschäftsklimaindex signalisierte im Mai eine weiter nachlassende Stimmung in den Chefetagen der Unternehmen und fiel auf den tiefsten Stand seit Ende 2014. ifo-Chef Clemens Fuest: „Der deutschen Konjunktur fehlt es weiterhin an Schwung.“

Besonders leidet die sehr exportabhängige Industrie. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden sanken die Ausfuhren im April um 3,7 Prozent. Die Importe schrumpften um 1,3 Prozent. Alarm schlägt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Danach sind die Erwartungen im Auslandsgeschäft so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Nach Holger Bringmann, Präsident des Außenhandelsverbands BGA, verdeutlichen die Zahlen, wie sehr die deutschen Ausfuhren von politischer Stabilität in der EU und in der Welt abhängig seien. Bringmann verwies aber gleichzeitig auf den Exporthandel mit Drittländern, der die Negativentwicklung etwas abfedern konnte.

Doch der Lichtblick: Die deutsche Binnenkonjunktur. Während die Investitionen der Industrie allerdings aufgrund der weltwirtschaftlichen Unsicherheiten derzeit zu wünschen übrig lassen, florieren der Bau, der private Verbrauch und die konsumnahen Dienstleistungen und bilden einen wirksamen Gegenpol zur Industrie. Am Bau, vor allem im Wohnungsbau, hielt sich die Produktion im Mai bereits im dritten Monat in Folge auf Rekordniveau, das auch weiterhin gehalten werden dürfte, denn in den Großstädten und Ballungsräumen herrscht eine ungebrochen hohe Nachfrage nach Wohnraum. Der Bedarf ist in diesen Gebieten nicht ansatzweise gedeckt, wobei in eher ländlichen Gebieten oft Wohnungsleerstand herrscht. Hier ist die Politik gefordert, durch geeignete Infrastrukturmaßnahmen, wie durch die Ansiedlung von Unternehmen für Arbeitsplätze zu sorgen, Kitas, Schulen und Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten zu schaffen und die ländlichen Räume verkehrstechnisch gut an die beliebten Zentren anzuschließen und somit attraktiv zu machen. Das gilt besonders für Ostdeutschland, wo der ländliche Raum nach Untersuchungen der Dresdner Niederlassung des ifo Instituts „regelrecht ausgeblutet“ ist. Da in Teilen der begehrten Wohn- und Lebenszentren die Baupreise schneller als die Mieten steigen, drohen renditebewusste Investoren sich trotz eines weiterhin hohen Wohnraumbedarfs in Zukunft eher zurückzuziehen. Mietpreisbremsen und Enteignungen sind sicherlich nicht der richtige Weg, um mehr Wohnraum zu schaffen. Die Devise lautet: Bauen, bauen, bauen, aber dort, wo das Bauen noch bezahlbar ist. Einen erheblichen Anteil an den kräftig steigenden Baukosten machen die Grundstückskosten aus. Hier sind Bund, Länder und Gemeinden gefordert durch die Freigabe öffentlichen Baugrunds zu günstigen Preisen gegenzusteuern.

Eine weitere Stütze der robusten Binnenkonjunktur ist nach wie vor der private Konsum. Getrieben wird der Verbrauch der privaten Haushalte von den guten Einkommensverhältnissen. Nach Umfragen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigen auch die Einkommenserwartungen eine „überaus hohe Stabilität auf einem ohnehin schon sehr hohen Niveau“. Angesichts der wirtschaftlichen Verunsicherung bezeichnet GfK-Experte Rolf Bürkl dies als „eine überaus positive Nachricht“. Die Konsumenten profitieren neben höheren Löhnen und Gehältern aber auch von der deutlichen Verbesserung der staatlichen Transfers.

Große Sorge: Fachkräftemangel

Zudem erhöht die anhaltend gute Arbeitsmarktlage die Sicherheit der privaten Haushalte, was sich positiv auf deren Kauflaune auswirkt. Zwar hat sich die Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt im Mai nicht fortgesetzt, die wirtschaftliche und politische Großwetterlage und die gedämpfte Investitionsneigung dürften sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken. Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), sieht aber nur eine Delle und keine strukturelle Umkehr. Nach sechs Quartalen mit stetig steigendem Personalbedarf geben im aktuellen Manpower-Group-Arbeitsmarktbarometer 98 Prozent der befragten Unternehmen an, ihre Belegschaft stabil halten und zwischen Juli und September 2019 keine Neueinstellungen vornehmen zu wollen. Erhebliche Sorgen bereitet der Fachkräftemangel. In einer Studie zur Lage in der mittelständischen Wirtschaft konstatieren die DZ Bank und der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), dass sich fast jedes mittelständische Unternehmen (96 Prozent) vom Fachkräftemangel betroffen sieht. Neben dem allgemein zu geringen Angebot an Fachkräften spielen regional zunehmend auch die Exzesse am Immobilienmarkt eine Rolle. Der Wohnungsmangel und hohe Mieten erschweren laut DZ Bank und BVR auch die Anwerbung von Fachkräften.

Neben der guten Lage am Arbeitsmarkt profitiert die Konsumneigung der privaten Haushalte aber auch von der seit Jahren niedrigen Inflation. Nach 2 Prozent im April fiel die Inflationsrate im Mai wieder auf 1,4 Prozent zurück. Für das Gesamtjahr erwarten die Bundesbanker eine Inflationsrate von nur 1,4 Prozent. Die für die Geldpolitik relevante Rate – die Inflationsrate im Euroraum insgesamt – belief sich im April auf 1,7 Prozent – gut für die Verbraucher, aber zu niedrig für die EZB. Sie strebt eine Rate von dauerhaft unter, aber nahe 2 Prozent an, um ausreichend Abstand zum Deflationsgespenst zu gewinnen. Ökonomen beklagen das seit Jahren – nicht nur in der Eurozone – geringe Wachstum. Die Lohn-Preisspirale beflügele die Inflation nur dann, wenn die Wirtschaft kräftig wächst. Die Experten der Bank Morgan Stanley sind überzeugt, dass von China derzeit ein deflationärer Effekt auf den Rest der Welt ausgeht. Die chinesischen Erzeuger- und Exportpreise steigen nicht. Das deckle die Kernraten der Inflation in den Industrieländern. Vermutlich werde dieser Effekt bis Ende des Jahres anhalten.

Erst wenn das Inflationsziel nachhaltig erreicht ist, dürfte die EZB über Zinsanhebungen nachdenken, wenn es da nicht noch die nach wie vor hohe Verschuldung in den Südstaaten des Euroraums gäbe, die durch Zinsanhebungen erneut in größte Schwierigkeiten gebracht würden. Die bereits lange Zeit niedrigster Zinsen scheint von den hochverschuldeten Euroländern insgesamt nicht in ausreichendem Maße genutzt worden zu sein, um die Schuldenlasten abzubauen und ihre Wirtschaft umzustrukturieren und sie damit international wettbewerbsfähiger zu machen. Wie es scheint, werden die europäischen Sparer noch lange auf wieder steigende Zinsen warten müssen.

Aussichten

Nach Ansicht der Volkswirte der Bundesbank dürfte die deutsche Wirtschaft im ersten Halbjahr leicht geschrumpft sein. Für das Gesamtjahr sind die Wachstumsraten zwar deutlich herunterkorrigiert worden, doch eine Rezession ist derzeit in der Ökonomenzunft kein Thema. Die Bundesbank rechnet für 2019 insgesamt mit einem Wachstum von 0,6 Prozent. Auf gleicher Höhe liegt die Schätzung des ifo Instituts, das für 2020 von saisonbereinigt 1,3 Prozent Wachstum ausgeht. Optimistischer ist das DIW. Die Berliner Konjunkturforscher erwarten für 2019 ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von 0,9 Prozent. Im kommenden Jahr sollen es 1,7 Prozent werden. Im vergangenen Jahr hatte das BIP noch um 1,4 und 2017 um 2,2 Prozent zugelegt.