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Hoffnung statt Verbotspolitik

veröffentlicht im Genossenschafts-Magazin Weser-Ems, Ausgabe 02/2024

Die Bauerproteste gegen die Kürzung von Subventionen sorgen für eine intensive gesellschaftliche Diskussion. Unser Genossenschaftsverband und unsere Mitgliedsunternehmen unterstützen die Forderungen der Landwirte. Diese würde die Region Weser-Ems überproportional stark belasten.

Die Agrar- und Ernährungsindustrie sind wichtige Wirtschaftsfaktoren in Weser-Ems, die eine hohe regionale Wertschöpfung und viele tausend Arbeitsplätze sichern. Die von der Bundesregierung geplanten Sparmaßnahmen bei den Landwirten treffen diese in einem unverhältnismäßigen Ausmaß. „Wir brauchen eine Politik, die eine regional verankerte Landwirtschaft stärkt, statt unsere heimische Versorgungsbasis mit immer neuen Zumutungen belastet“, betonen unsere Verbandsdirektoren Johannes Freundlieb und Axel Schwengels, die sich solidarisch mit der protestierenden Bauernschaft zeigen. Der Genossenschaftsverband Weser-Ems steht deshalb „klar und eindeutig“ hinter den berechtigten Forderungen der Landwirtschaft.

Einkommensverlust = sinkende Kapitalfähigkeit
Dies gilt auch für die Arbeitsgemeinschaft der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Weser-Ems (AGVR). Der AGVR-Vorsitzende Frank Ostertag, Vorstand der Volksbank eG Oldenburg-Land Delmenhorst, betonte, dass die meisten Landwirte zwar auf ein wirtschaftlich gutes Jahr 2023 zurückblicken könnten: „Wir müssen aber beim Einkommen von einem durchschnittlichen Jahr ausgehen, das eine solche Kürzung nicht zulässt.“ Er verwies zudem auf die bereits in den vergangenen Jahren erfolgten erheblichen Kürzungen der EU-Mitteln. „Ich möchte hier an Flächenverluste durch Stilllegung von rund 4 Prozent erinnern sowie an die Kürzungen der Prämien im Rahmen der GAP-Verfahren. Jede Art des Einkommensverlustes führt zu sinkender Kapitalfähigkeit, die die Banken bei ihren Kreditvergaben zu berücksichtigen haben,“ warnte Frank Ostertag vor einer Überstrapazierung der landwirtschaftlichen Belastungsfähigkeit.

Agrargewerbe fehlen angemessene Wettbewerbsbedingungen     
Albert Weersmann, Vorstand der Raiffeisenbank Ems-Vechte eG mit ihrem angeschlossenen Warengeschäft Raiffeisen Ems-Vechte, ordnete die Demonstrationen zudem in die gesamtwirtschaftliche Situation der Branche ein: „Es geht bei den Protesten aus meiner Sicht nicht allein um den ökonomischen Faktor des einzelnen Betriebes, sondern um insgesamt nicht ausreichend vorhandene Wettbewerbsbedingungen im Agrargewerbe, in erster Linie auf europäischer, aber auch auf internationaler Ebene.“ Auch Bankvorstand Martin Kühling, Sprecher der Volksbanken im Landkreis Vechta (KAG Vechta), kritisiert, dass hinter den Kürzungen kein agrarpolitisches Konzept stehe, sondern diese allein finanzpolitisch begründet seien: „Im Kern geht es bei den Protesten um die Zukunftsfähigkeit unserer Landwirtschaft und den verlorenen Glauben unserer Landwirte an eine verlässliche, Planungssicherheit schaffende Wirtschaft- und Agrarpolitik.“

Kürzungen würden Weser-Ems stark treffen
Die Landwirte fordern eine vollständige Rücknahme des geplanten Subventionsabbaus im Bereich Agrardiesel und Kfz-Steuern für landwirtschaftliche Maschinen in Höhe von insgesamt knapp einer Milliarde Euro. Auch der von der Bundesregierung vorgelegte Kompromiss reiche nicht aus. Insgesamt würden vor allem kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe überproportional stark belastet. „Dies würde Weser-Ems als wichtige Agrarregion in Niedersachsen in einem hohen Maß weit über die Landwirtschaft hinaus treffen“, betont Johannes Freundlieb. Die Branche befinde sich ohnehin in einem intensiven Strukturwandel, der erhebliche Einschnitte nach sich ziehe. Eine weitere Schwächung würde für unsere Region erhebliche Wohlstands- und Jobverluste.

Das beurteilt auch Hermann Mammen, Vorstand der Raiffeisen-Warengenossenschaft Ammerland-OstFriesland eG (RWG), ähnlich: „Als Warengenossenschaft leben wir mit und von unseren Kunden. Wirtschaftliche Belastungen der Landwirtschaft treffen sofort auch uns. Der Strukturwandel wird weiter angefeuert und das Sterben der Betriebe setzt sich fort und gefährdet auch Strukturen und Arbeitsplätze bei uns. Zusätzlich treffen uns derzeit die deutliche Erhöhung der Maut und die extrem gestiegenen Energiekosten.“ Er betonte, dass die Subventionskürzungen dauerhaft wirkten. Die Einkommen der Landwirte dagegen schwanken und bewegten sich keineswegs dauerhaft auf dem guten Niveau von 2023.

Ausverkauf regionaler Landwirtschaft droht
„Bereits heute sehen unsere Genossenschaftsbanken aufgrund der unsicheren Rahmenbedingungen eine große Investitionszurückhaltung bei den Landwirten, und auch der Landhandel stellt sich auf deutlich sinkende Bedarfe im Bereich der Futter- und Betriebsmittel ein“, betonen unsere Verbandsdirektoren. AGVR-Vorstand Frank Ostertag fürchtet, dass die Subventionskürzungen die Investitionsneigung weiter senken werde. Diese sei aktuell durch die fehlenden Planungsunsicherheit – Stichwort Stallumbauten und Tierwohl – sowie aufgrund von vielfach unsicheren sowie langen Genehmigungsverfahren für Um- und Neubauten ohnehin eingeschränkt. „Bei einem solchen Umfeld lässt die Investitionsneigung naturgemäß in signifikantem Umfang nach“, weiß Frank Ostertag. Grundsätzlich sei aber nach wie vor von einer hohen Kreditwürdigkeit der Landwirte auszugehen, betonte der Sprecher der KAG Vechta, Martin Kühling.

Deutsche Qualitätsstandards stärken und schützen
Statt immer neue Abbauszenarien im Bereich der Landwirtschaft seitens der Politik zu kreieren, empfiehlt der GVWE die Rahmenbedingungen für die nationale und vor allem auch für die internationale Vermarktung zu verbessern, das hohe deutsche Niveau im Bereich der Lebensmittelsicherheit und -qualität zu stärken und Investitionen in Tierwohl, in eine nachhaltige Produktion sowie in Innovationen realitätsnah und intensiv zu unterstützen. „Ansonsten droht ein Ausverkauf unserer hochwertigen, regional verankerten Landwirtschaft“, urteilt Johannes Freundlieb. Damit stehe auch die Basis der Versorgungssicherheit unseres Landes dauerhaft auf dem Spiel. Der gesellschaftlich und politisch bedingte landwirtschaftliche Strukturwandel dürfe nicht allein auf dem Rücken der Bauern ausgetragen werden.    

Hoffnung statt Verbotspolitik
Für Hermann Mammen lassen sich Lösungen nur gemeinsam finden. Deswegen sei der von der Politik unterbrochene Dialog auf Augenhöhe wieder aufzunehmen. „Gemeinsame Lösungsansätze hat zum Beispiel die Borchert-Kommission erarbeitet, auch der Niedersächsische Weg gehört dazu. Die Ergebnisse werden leider völlig ignoriert“, so der RWG-Vorstand: „Wenn die Veränderung gewollt ist, braucht die Landwirtschaft dafür auch finanzielle Unterstützung und vor allem langfristig verlässliche Parameter. Wir brauchen Vertrauen, Mut und Hoffnung statt Streichungs- und Verbotspolitik.“

Albert Weersmann und auch Martin Kühling ergänzen, dass eine klare Formulierung der künftigen Agrarstrategie, ein agrarpolitisches Konzept notwendig sei. Diese müsste festlegen, was wir regional oder national selbst produzieren wollen und müssen und in welchen Bereich wir künftig zum Beispiel auf den Import von Agrargütern aufgrund preislicher oder qualitativer Vorteile bauen und somit von einer internationalen Arbeitsteilung profitieren. Zudem wären einheitliche mindestens europäische Standards wünschenswert. So sei es in den Niederlanden beispielsweise möglich, Waren mit Lkw bis zu 35 Tonnen zu transportieren, in Deutschland dagegen nur mit maximal 25 Tonnen, nennt Albert Weersmann exemplarisch ein Beispiel aus der Praxis.

Frank Ostertag betont die Notwendigkeit von Planungssicherung und schnellen Genehmigungsverfahren: „Wenn wir die Versorgung mit Lebensmitteln als Teil der kritischen Infrastruktur sicherstellen wollen, müssen wir an diesen beiden wesentlichen Stellschrauben ansetzen und entsprechende Investitionsanreize setzen. Als Genossenschaftsbanken plädieren wir hier für eine entsprechende Stärkung regionaler Wertschöpfung, die bei allem Strukturwandel zu erhalten ist.“

Wut ist kein guter Berater: Dialog suchen
Bei aller Emotionalität plädiert der GVWE dabei für eine intensive, aber im Grundton an der Sache orientierten Diskussion. Die Demonstrationen seien wichtig. Ein „verstärkt von Wut gesteuerter Protest“ sei aber nicht zielführend. Zudem dürfe sich die Landwirtschaft nicht von undemokratisch gesinnten politischen Kräften missbrauchen lassen. „Gegen diese Kräfte gilt es, sich konsequent abzugrenzen“, betonten die Verbandsdirektoren. Die Genossenschaftsbanken und Ländliche Genossenschaften fordern einhellig alle Beteiligten zu einem konstruktiven Dialog auf Basis der demokratischen Spielregeln auf.